Als Fan von minimalistischen Szenarios, kann ich "Locke" nur empfehlen. Tom Hardy liefert die grandiose Darbietung einer höchst interessanten Figur, über die man sich kein vorschnelles Urteil bilden sollte. Dieser Ivan Locke kommt ziemlich arrogant, nassforsch, sauertöpfisch, humorlos, besserwisserisch - ja, alles, was man einem so nachsagen könnte, den man einfach für unangnehm hält - herüber. Doch mit der Laufzeit wird klar, dass dieser Mann einen ungeheueren persönlichen Moralkodex besitzt. Dadurch wird der Film zu einer solchen Auseinandersetzung: Kann jemand für das einstehen, was ihm persönlich heilig ist? Kann er so etwas wie ein "individuelles Gesetz haben" (ein Begriff Georg Simmels in Anlehnung an Nietzsche) und das entsprechend so durchziehen, auch auf die Gefahr von Verlusten hin? Gerade nun, dass es dabei nicht (!) um Leben und Tod geht, sondern, im Gegensatz zu anderen Filmen dieser Machart, um halbwegs "normale" Probleme, macht den Film so spannend. Aber auch eine Affäre mit Schwangerschaft sowie ein riesiges Bauprojekt können eben ein ziemlich guter Aufhänger sein. Ivan Locke versucht mit Charisma, eigenem Willen, aber auch einer ganz schönen Rotzig- und Arschlöchigkeit die Situationen über das Telefon in Griff zu bekommen. Ob es ihm gelingt, wird man sehen.
Mir gefiel dieses persönliche Einstehen wirklich am besten in dem Film. Es ist damit eine Art Zeitportrait: Ivan Locke ist einerseits, so könnte man sagen, völlig atypisch für seine Zeit, in der, überspitzt gesagt, nur die wenigsten große Verantwortung übernehmen, sondern eher "flüchtig" leben. Gleichzeitig und widersprüchlicherweise ist Locke auch ein ziemlich typisches Produkt für diese Denk- und Lebensweise, weil er alles will, "maximiert leben" möchte, und die Dinge halten will, Prioritäten zu setzen glaubt, und es vielleicht doch nicht recht tut. Zudem scheint er letztlich auch ein ziemlicher Spießbürger zu sein, was angesichts der untergründigen Vater-Andeutungen aber verständlich ist.
Letztlich gibt einem der Film mehrere Interpretationsmöglichkeiten an die Hand, was gut ist. Der Film besitzt eine gute Laufzeit sowie den rechten Ausschnitt aus Lockes Leben, um da Material zu bieten. Allerdings: Das Ende kommt mir etwas zu abrupt und dann doch zu offen. Und als weitere Schwächen muss man nicht nur manch' optische Eintönigkeit nennen, sondern einige Dialogzeilen. Diese sind im Groß sehr gut geraten. Aber es gibt dann hier und da mal eine Übertreibung, ein "sophisticated" Wort zuviel, wodurch man für eine Nanosekunde herausgerissen ist. Da hätte man mehr feilen müssen.
Fazit: Grandioser Film, aber die kleinen Schwächen lassen ihn hauchdünn an einer 4,5 vorbeischrammen. Insbesondere Frauen sollten ihn gucken, die Männer verstehen wollen. ;)