Ein Mann, sein Auto und seine Freisprechanlage. Er fährt von A nach B. Das war's.
Gut, zugegeben, meine Hauptintention Steven Knight's "Locke" zu sehen (den deutschen B-Movie - Titel, den der Film einfach nicht verdient hat, verschweigen wir hier mal bewusst), war die Neugier, ob diese sehr reduzierten Zutaten einen guten Film, ja überhaupt einen Film entstehen lassen können.
Das Ergebnis ist verblüffend, herausragend neuorientiert und gerade deswegen wohl auch so überraschend spannend, weil Man(n) eben mal nicht seine entführte Tochter rettet, oder in einer Verfolgungsjagd seinen Kontrahenten abhängen muss. Nein, hier wird vielmehr gefilmt, was offensichtlich sein könnte, überaus authentisch, etwas, das tatsächlich jeden Moment auf den Straßen dieser Welt geschehen könnte, ohne das man davon Kenntnis nehmen würde.
Überhaupt Handlungsfetzen zu verraten, würde das Filmvergnügen schmälern, "Locke" funktioniert zwar auch immer noch mit vorweggenommenen Details, trotzdem liegt es vor allem an der Zuspitzung von Knight's hervorragendem Drehbuch, dass dem Film seine Faszination verleiht. Fernab davon mag es sicherlich viele stören, dass wenig passiert, aber dadurch, dass Knight seinen Locke geradezu zwanghaft zentriert, versuchen keine überflüssigen Szenen den Fluss und die Intensität von Ivan Locke's One - Man - Show herauszunehmen und das funktioniert sehr gut, von vermuteter Langweile keine Spur.
Natürlich benötigt man für den physischen Auftritt von lediglich einer Person ein wirklich markantes und mimisch ausgezeichnetes Gesicht, dass man in Tom Hardy auch gefunden hat. Es ist vor allem der schwitzenden, hustenden, schreienden und frustrierenden Präsenz Hardys geschuldet, dass man am Ende des Film ein komplettes Charakterprofil seiner Figur Locke erstellen könnte, eine Leistung, die man nicht zu hoch einschätzen kann und für seine weitere Schauspielkarriere sicherlich eine große Hilfe sowie fantastisches Bewerbungsschreiben für so ziemlich alles sein kann, wäre Hardy nicht längst schon so berühmt.
Neben Hardy ist natürlich Autor und Regisseur Steven Knight der weitere überragende Träger des Films. Es ist nicht nur dauerhaft so genial, was Knight zeigt, sondern auch wie er es schafft über die 90 - minütige Zeit den Zuschauer bei Laune zu halten. Mittels einfachster tricktechnischer Mittel entwirft er durch surreales Überschneiden oder dem Verzerren von Lichtkegeln eine atemberaubende Autobahnatmosphäre und ein sich zurücknehmender Score, der gleich einen Haufen neo - noiriger Vorbilder bedient, rundet diese audiovisuell ansprechende Leistung ab.
Fazit: Man kann viel davon halten, auch das "Locke" leicht zu einer nervenzerrenden Angelegenheit für den Zuschauer werden kann, die die Erinnerung an persönlich erlebte Autobahnfahren bei Nacht sogar hervorrufen kann. Das alles zeigt den schmalen Grad von Filmkunst, das eine so einfache Prämisse wie dem Fahren von einem Ort zum anderen aus scheinbar trivialem Grund zu solch perfekt ausbalanciertem Autoren- und Schauspielkino werden kann.