In seinem lose zusammenhängenden zehnteiligen Pittsburgh-Zyklus erkundete der vielfach preisgekrönte, 2005 verstorbene Dramatiker August Wilson die afroamerikanische Erfahrung im 20. Jahrhundert – es gibt ein Theaterstück für jedes Jahrzehnt und als sechster Teil ist „Fences“ somit in den 1950ern angesiedelt. Die erste Neuinszenierung des 1987 uraufgeführten und im selben Jahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Dramas fand erst 2010 am Broadway statt – und avancierte dort zu einem riesigen Erfolg, der mit drei Tony Awards für die Beste Wiederaufführung, den Besten Hauptdarsteller (Denzel Washington) und die Beste Hauptdarstellerin (Viola Davis) ausgezeichnet wurde. Seitdem hat Denzel Washington angekündigt, jedes einzelne der zehn Stücke auf die große Leinwand bringen zu wollen – und mit „Fences“ macht er nun als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion den Anfang. Schauspielerisch ist das für vier Oscars nominierte Ergebnis ein uneingeschränkter Triumpf – nur inszenatorisch hätte sich der regieführende Hollywoodstar ruhig noch ein wenig mehr einfallen lassen dürfen.
Der zweifache Familienvater Troy Maxson (Denzel Washington) verdient sein Geld in den 1950ern als Müllmann. Nach Feierabend trauert er einer Karriere als Profi-Baseballspieler nach, die seiner Meinung nach nur daran gescheitert ist, dass er als Schwarzer gegenüber weißen Spielern benachteiligt wurde (wobei auch eine Rolle spielen könnte, dass er 15 Jahre wegen eines Tötungsdelikts im Knast saß und deshalb erst im vergleichsweise hohen Alter überhaupt mit dem Baseball angefangen hat). Trotzdem ist Troy stolz auf das, was er erreicht hat – und er versucht sogar bei der Gewerkschaft durchzusetzen, dass er in Zukunft auch als Schwarzer einen Müllwagen fahren und ihn nicht nur befüllen darf (obwohl er selbst keinen Führerschein hat). Als Troys jüngerer Sohn Cory (Jovan Adepo) die Chance erhält, am College Football zu spielen, macht ihm sein Vater einen Strich durch die Rechnung, denn er will nicht, dass sein Sprössling dieselben Enttäuschungen erlebt wie er selbst. Oder geht es ihm nicht doch eher darum, dass sein Selbstbild zerbrechen würde, wenn sein Sohn schafft, woran er selbst gescheitert ist…?
In diesem Jahr gibt es gleich zwei Oscarkandidaten, die beide auf einem Theaterstück über die schwarze Erfahrung in den USA basieren, die aber trotzdem kaum verschiedener sein könnten: Während sich Barry Jenkins‘ „Moonlight“ mit seiner herumwirbelnden Kamera, seiner grobkörnigen Retro-Farbpalette und allerlei inszenatorischen Sperenzchen als modernes Leinwandgedicht entpuppt, erweist sich „Fences“ als durch und durch klassisches Theaterkino in der Tradition von Elia Kazans „Endstation Sehnsucht“ oder Volker Schlöndorffs „Tod eines Handlungsreisenden“. Das fügt dem Stoff nicht viel hinzu, es schadet ihm aber auch nicht: Vor sieben Jahren war es fast ein Ding der Unmöglichkeit, Karten für die Broadway-Produktion von „Fences“ zu ergattern (wenn man denn überhaupt in New York vor Ort war) - und nun bekommt man den zweifachen Oscargewinner Denzel Washington (für „Glory“ und „Training Day“) und die dreifach oscarnominierte Viola Davis (für „Glaubensfrage“, „The Help“ und „Fences“) in den Rollen ihres Lebens eben auf der großen Leinwand zu sehen – und ihr Spiel allein war, ist und bleibt ein EREIGNIS, das man sich als Kinofan nicht entgehen lassen sollte und als Theaterjunkie auf keinen Fall verpassen darf.
In den vergangenen Jahren gab es im Kino den Trend, Schwarze vornehmlich als Opfer zu porträtieren (etwa in „12 Years A Slave“) – das passt zum aktuellen Zeitgeist, aber es nagt auch an dem Stolz, den sich die schwarze Community in den USA über die Jahrhunderte hart erarbeitet hat. In „Fences“ ist das (wie demnächst auch in Nate Parkers „The Birth Of A Nation“) anders, denn August Wilson entwirft ein komplexes Geflecht aus gesellschaftlichen Umständen und ambivalenten Figuren, die aus ihren eigenen persönlichen Überzeugungen heraus handeln (und somit auch aus eigenem Antrieb Scheiße bauen). Troy Maxson etwa steckt voller faszinierender Gegensätze: Er ist stolz darauf, mit seinem Job für seine Familie sorgen zu können, aber er wäre trotzdem lieber etwas anderes als Müllmann geworden; er trichtert seinen Kindern nachdrücklich seine konservativen Werte ein, geht aber trotzdem fremd; er trauert seiner eigenen vertanen Baseball-Chance nach, versperrt aber trotzdem seinem Sohn den Weg zur Football-Karriere. Die meisten Filmemacher würden diese Widersprüche nutzen, um die Figur zu „entlarven“ – aber Wilson und Washington zeichnen stattdessen lieber das Porträt eines schwarzen Mannes, der viel Schmerz erlitten und auch selbst viel Mist gebaut hat, der aber trotz all seiner Fehler stolz seinen Weg geht. Man muss diesen Troy Maxson mit seiner ständigen Doppelmoral absolut nicht mögen, man muss ihn aber auch nicht verachten – und diese Offenheit ist „Fences“ hoch anzurechnen.
Fazit: Die Darsteller spielen sich die Seele aus dem Leib – und die zurückgenommene Inszenierung bereitet ihnen dazu die Bühne.
PS: Der Pittsburgh-Zyklus ist zugleich auch eine Chronik der afroamerikanischen Sprache und wie sie sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt entwickelt hat – wir haben den Film in der Pressevorführung als englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln gesehen und würden euch empfehlen, ebenfalls nach dieser Version Ausschau zu halten.