„Seid ihr nicht für uns, seid ihr unsere Feinde“ – So lautet einer der berühmt-berüchtigten Aussprüche George W. Bushs, der in seinem dogmatischen Schwarz-Weiß-Denken jede Form der Ambivalenz ablehnte. Wie ironisch ist es nun, dass auch dezidierte Gegner solch rechts-konservativer Regierungen jegliche Kritik an ihnen selbst und ihren Zielen mit ähnlicher Vehemenz zurückweisen. So folgt ausgerechnet Julian Assange, Gründer und Gesicht der Internet-Enthüllungsplattform WikiLeaks, Bushs Leitspruch, was alle zu spüren bekommen, die ihn kritisieren und seine Methoden, sein Selbstverständnis und nicht zuletzt sein persönliches Verhalten hinterfragen. Genau das tut der für die Folteranklage „Taxi to the Dark Side“ mit dem Oscar ausgezeichnete Dokumentarfilmer Alex Gibney, der in „We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte“ viele Fragen aufwirft. Auch wenn der Filmemacher sich im Wust der Personen, Ereignisse, politischen und moralischen Fragestellungen bisweilen etwas zu verheddern droht, ist seine Dokumentation unbedingt sehenswert.
Zwar stiehlt die Internetplattform WikiLeaks keine Geheimnisse wie der Filmtitel andeutet (diese Selbstbeschreibung fällt im Film dagegen mit überraschender Ehrlichkeit ein CIA-Agent), aber seit ihrer Gründung im Jahre 2006 ist sie zum Synonym für die Veröffentlichung allerlei Daten geworden, die Regierungen, Institutionen und Konzerne lieber unter den Tisch kehren wollen. Ihr Gründer und Gesicht ist der Australier Julian Assange, der von seinen Anhängern als Galionsfigur im Kampf um Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte betrachtet wird. Doch im November 2010 wurde ein internationaler Haftbefehl gegen Assange ausgestellt – nicht etwa wegen Geheimnisverrat, sondern wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Seitdem verwendet Assange zunehmend weniger Zeit auf sein eigentliches Ziel, sondern versucht der Auslieferung aus Großbritannien nach Schweden zu entgehen, wo er die ihm vorgeworfenen Taten begangen haben soll. Fast zeitgleich mit diesen Anschuldigungen wurde der amerikanische Soldat Bradley Manning verhaftet, der während seiner Stationierung im Irak, über eine Millionen Dokumente über die Kriegsführung Amerikas entwendete und an WikiLeaks weiterleitete. Wie sehr diese beiden eigentlich völlig losgelösten Fälle verknüpft sind und welche Folgen dies für die eigentliche Mission WikiLeaks hat, steht im Zentrum von Alex Gibneys Dokumentation.
Etliche Berichte und Reportagen sind in den vergangenen Jahren über Julian Assange und WikiLeaks entstanden, im Herbst folgt gar mit „Inside Wikileaks - Die fünfte Macht“ der erste Kinofilm, in dem „Sherlock“ Benedict Cumberbatch den weißhaarigen Hacker und Daniel Brühl seinen zeitweiligen deutschen Partner Daniel Domscheit-Berg spielt. Angesichts dieser Fülle an Informationen, die schon kursieren, überrascht es nicht, dass Alex Gibney in seiner Dokumentation auch einiges bereits bekanntes Material wieder aufbereitet. Sehenswert wird „We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte” daher durch Gibneys vielschichtigen Ansatz: Der Regisseur konzentriert sich nicht allein auf die unmittelbare Arbeit von Assange und WikiLeaks, sondern wirft vielfältige Fragen auf.
Dass er dabei die Figur Assange durchaus kritisch betrachtet, die zunehmende Pop-Star Rolle, die Assange teils unverschuldet, teils aber auch mit offensichtlicher Begeisterung einnahm, als Hindernis darstellt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gibney im Prinzip den Ansätzen WikiLeaks zustimmt. Allerdings mit einigen gravierenden Einschränkungen, besonders was den Schutz von Informanten und Personen angeht, die durch veröffentlichte Geheimdokumente gefährdet werden könnten. Und genau hier kommt der Fall Bradley Manning ins Spiel: Der US-Soldat wird von der Obama-Administration als Landesverräter beschuldigt, er sitzt seit Jahren in strikter Isolationshaft im Gefängnis und ihm wird parallel zum deutschen Kinostart der Dokumentation im Juli 2013 der Prozess gemacht.
Inwieweit Assange die Verhaftung Mannings billigend in Kauf nahm, um der Allgemeinheit zu dienen, lässt auch Gibney offen. Klar wird im Laufe der Dokumentation aber, wie sehr Assange durch den Vorwurf der Vergewaltigung abgelenkt wird, wie sehr sein persönliches Schicksal synonym mit dem von WikiLeaks geworden ist und damit die hehre Mission zu diskreditieren droht. So zumindest stellt es Gibney da, der Journalisten, Geheimagenten, Anwälte und ehemalige WikiLeaks-Mitglieder interviewt hat. Eine Schlüsselrolle nimmt bei den Gesprächen der Hacker Adrian Lamo ein, dem sich Manning anvertraute und der ihn an die US-Regierung verriet. Lamo verteidigte sich jahrelang gegen Anfeindungen der Szene, vor Gibneys Kamera bricht er in einem bewegenden Momente unter Tränen zusammen und stellt sich die überfällige Frage, ob er damals wirklich richtig gehandelt hat.
Bei Gibneys Gesprächspartnern fehlt der naheliegendste Name: Julian Assange. Laut einer Aussage des Regisseurs im Film selbst, forderte Assange ein Honorar von einer Millionen Dollar, später soll er sich bereit erklärt haben, das Gespräch auch zu führen, wenn Gibney im Gegenzug für ihn die anderen Interviewten ausspioniere. In den Augen der glühenden Assange-Verehrer, deren Fanatismus Gibney mit wenigen kurzen Szenen einfängt, dürfte diese Schilderung als Beleg für eine grundsätzliche Befangenheit Gibneys reichen. Doch so leicht darf man es sich nicht machen. Ohne selbst interviewt zu werden, ist Assange in Gibneys Dokumentation allgegenwärtig. Er ist nicht nur immer wieder Gesprächsthema, sondern Gibney lässt ihn mittels zahlreichem, bis in Assanges Hacker-Jugendtage in Australien zurückreichendem Archivmaterial selbst zu Wort kommen und stellt dabei immer beide Seiten der Medaille dar. „We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte” ist so weit entfernt von einer Anti-Assange-Position. Es ist eine differenzierte Darstellung, die vielfältige moralische Fragen aufwirft: Welche individuellen Opfer sind für das Wohl der Allgemeinheit vertretbar, welche Verantwortung hat eine Organisation wie WikiLeaks bei allem Idealismus dennoch, aber auch: Wie sehr schadet der Starkult um Julian Assange und dessen zumindest fragwürdiges persönliches Handeln am Ende dem großen Ganzen, dem Versuch, mit Veröffentlichung geheimer Daten eine gerechtere Welt zu schaffen.
Fazit: Alex Gibneys „We Steal Secrets: Die WikiLeaks Geschichte” ist eine vielschichtige Dokumentation, die sich mit grundsätzlicher Sympathie, aber auch weit reichender Skepsis dem breiten Themenspektrum Julian Assange/WikiLeaks/Bradley Manning/Geheimnisverrat nähert und dabei vielfältige Fragen aufwirft.