Die Karriere von Danis Tanovic begann mit einem Paukenschlag. Mit seinem Kino-Debüt „No Man‘s Land“ gewann der bosnische Regisseur 2002 auf Anhieb den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film. Danach wurde es trotz bemerkenswerter Werke wie etwa dem berauschenden „Wie in der Hölle“ etwas ruhiger um den Filmemacher. Mit „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ kehrt Tanovic nun nicht nur thematisch zurück in sein Heimatland Bosnien, er kehrt gleichzeitig auch zurück auf die große Festival-Bühne: Im Wettbewerb der Berlinale 2013 erhielt sein außergewöhnliches Drama den Großen Preis der Jury und den Preis für den Besten Hauptdarsteller. In eigenwilliger Ästhetik erzählt der Regisseur vom täglichen Überlebenskampf einer Roma-Familie inmitten eines vom Krieg gezeichneten Landes. Trotz gelegentlicher Längen, bleibt Tanovics ungeschönte Milieu-Studie eine ebenso berührende wie aufwühlende Erfahrung.
Eine Roma-Familie in Bosnien-Herzegowina lebt in großer Armut: Vater Nazif (Nazif Mujic) ernährt seine schwangere Frau Senada (Senada Alimanovic) und seine beiden kleinen Töchter mit dem Sammeln von Schrott, den er für einen Hungerlohn verkauft. Als Senada eines Tages mit starken Schmerzen im Unterleib auf dem Sofa liegt, beginnt für die Familie ein Martyrium: Ihr ungeborenes Kind ist gestorben, jetzt droht eine Blutvergiftung wenn sie nicht bald operiert wird. Doch die Familie ist nicht krankenversichert und kann sich den Eingriff nicht leisten. Nazif setzt alle Hebel in Bewegung, um seine Frau zu retten, doch die Bürokratie scheint ein unüberwindliches Hindernis. Die Beschwerden werden stärker und die Zeit droht, Senada davon zu laufen…
Ein Zeitungsartikel über die schlimmen Lebensbedingungen einer Roma-Familie in Bosnien-Herzegowina brachte Danis Tanovic auf die Grundidee für „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“. Für seinen Film ließ er die Laiendarsteller Nazif Mujic und Senada Alimanovic ihre wahre Odyssee bis zur überfälligen Operation noch einmal nachspielen. Tanovics Konzept, durch die sich selbst spielenden Darsteller besondere Authentizität zu erreichen, ist dabei ebenso konsequent wie gewöhnungsbedürftig. Die von Kameramann Erol Zubcevic („Djeca - Kinder von Sarajevo“) eingefangenen Bilder sind oft verwackelt, unscharf und schlecht ausgeleuchtet. In einer Szene stößt die Kamera sogar spürbar gegen eine Leiter. Tanovic bewegt sich ganz bewusst am Rande des Dokumentarischen und zieht den Zuschauer dadurch unmittelbar in seine schonungslose Geschichte hinein.
Sein Heimatland präsentiert er dabei von seiner düsteren Seite: Trostlose, schneebedeckte Landschaften, unermüdliche dampfende Kraftwerke, überfüllte Wartesäle voll leidvoller Gesichter. In dieser abweisenden Lebenswelt führt Nazifs seinen täglichen Kampf ums Überleben am Rande der Gesellschaft. Tanovic konzentriert sich ganz auf seinen Hauptdarsteller und dessen zermürbenden Alltag. In langen Einstellungen, zeitweise auch die Grenze zur Langatmigkeit überschreitend, beobachtet er, wie Nazif etwa in einer unwegsamen Schlucht nach verwertbarem Schrott wühlt oder gar sein eigenes Auto zerstückelt, um die Stromrechnung zu begleichen. Die Geschichte böte zahlreiche Möglichkeiten ins Rührselige abzudriften, Tanovic bleibt seiner nüchternen Erzählweise jedoch treu, ohne der jeweiligen Situation ihre emotionale Wucht zu rauben. Selbst schlimme Schicksalsschläge wie etwa die Fehlgeburt, nimmt das Paar mit einem fast stummen aber nicht minder bewegenden Wehklagen hin. Wenn erneut ein Arzt ihnen die Tür vor der Nase zuzieht, wünscht man sich geradezu, sie würden endlich einmal gegen die Ungerechtigkeit anschreien.
Den beiden Laiendarstellern Nazif Mujic und Senada Alimanovic gelingt durch ihr beeindruckendes Spiel jedoch auch ohne emotionale Ausbrüche, ihren Leidensweg unmittelbar spürbar zu machen. Besonders Nazif Mujic als vom täglichen Kampf gegen die Ungerechtigkeit gezeichnetes Familienoberhaupt zeigt bemerkenswerten Facettenreichtum: Wenn er sich nach all den Strapazen voller Zuneigung an die Schulter seiner Frau lehnt, wissend, dass dieser Moment nicht mehr als eine kurze Verschnaufpause ist, mischt sich in alle Beschwerlichkeit auch eine unbändige Lebenslust. Die Berlinale-Jury belohnte diese Leistung zu Recht mit dem Preis für den besten Darsteller.
Fazit: Es braucht eine Weile, um sich auf die kompromisslose Machart von Danis Tanovics „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ einzulassen, doch die Mühe lohnt sich: Hinter der ungeschliffenen Fassade verbirgt sich ein bewegendes, authentisches Drama.