So aufgeregt noch im Vorfeld über mögliche Überraschungsgewinner bei der Oscar-Verleihung 2014 gemutmaßt wurde, so enttäuschend favoritenlastig erwies sich letztlich die Reihe der Trophäenträger. Nur die vorangegangene Auslese und abschließende Ehrung in der Kategorie des besten Dokumentarfilms des Jahres 2013 sorgte wie auch schon in den Jahren zuvor für Diskussionen. Nachdem der Doku-Oscar in der Vergangenheit grandiosen Meilensteinen des Genres wie Errol Morris‘ „Der Fall Randall Adams“, Michael Moores „Roger & Me“ oder Werner Herzogs „Grizzly Man“ aufgrund meist wahltechnischer Probleme vorenthalten wurde, erhielt auch 2014 nicht der innovativste, sondern der populärste Beitrag den Preis. Viele Kritiker hätten sich den Goldjungen für Joshua Oppenheimers vieldiskutierte, formal unkonventionelle Doku „The Act of Killing“ über den Massenmord im Indonesien der 1960er Jahre gewünscht. Der Oscar-Gewinner, Morgan Nevilles energiegeladene, tragikomische Musik-Doku „20 Feet From Stardom“ über das harte Los talentierter Background-Sängerinnen, braucht sich dahinter aber nicht zu verstecken.
Sie bewegen sich in der problematischen Grauzone zwischen Bandmitglied und optisch ansprechendem Teil der Ausstattung, immer einen Schritt hinter dem Scheinwerferlicht. Background-Sänger fristen ein Schattendasein im wahrsten Sinne des Wortes. Morgan Neville erzählt vom ereignisreichen wie oft tragischen Leben amerikanischer Background-Sängerinnen vor dem Hintergrund der Pop-, Rock- und RnB-Geschichte der 1950er Jahre bis heute. Neben Legenden der Zunft wie Darlene Love, die den schwierigen Sprung zur erfolgreichen Solo-Künstlerin geschafft hat, und anderen wie Merry Clayton, Lisa Fischer und Táta Vega, denen dieses Glück nicht beschienen war, kommen dabei auch ihre berühmten Auftraggeber wie Mick Jagger, Sting, Stevie Wonder und Bruce Springsteen zu Wort. Ihre fruchtbare Zusammenarbeit durch historische Umwälzungen wie der US-Bürgerrechtsbewegung, der musikalischen Explosion des Rock’n’Roll und der sexuellen Revolution hindurch brachte einige der populärsten Evergreens der Musikhistorie hervor. Nevilles Doku beleuchtet den bisher unterschätzten Beitrag der Background-Sängerinnen daran.
Die Idee zu „20 Feet From Stardom“ hatte der Ende 2012 verstorbene Musikproduzent Gil Friesen, der sich von den turbulenten, ernüchternden und meist sehr ähnlichen Lebensläufen vieler Background-Sängerinnen fasziniert zeigte. Es ist immer wieder die Geschichte einer sehr talentierten, aber selten vom Glück gesegneten Frau, die ihren Karrierestart als Background-Performerin wagt, aber leider selten über die zweite Reihe hinauskommt und gerade an den letzten 20 Schritten zum Ruhm, zum vorderen Ende der Bühne wiederholt scheitert. Das Portrait ihrer Schicksale in der oscargekrönten Dokumentation ist eine engagierte Chronik über die Position der Frau in der Musikindustrie. Auch wenn es an einer klaren Argumentationskette mangelt und zu viele Schicksale in einem Zug behandelt werden, gelingt dabei die Zeichnung eines facettenreichen Bildes der Sängerinnen, deren Stimmen wir immer schon im Hintergrund vieler Hit-Songs gehört haben, aber von deren Existenz wir nun erstmals so direkt hören.
Neville skizziert in seinem Film in einer ansprechenden und abwechslungsreichen Vermengung faszinierender Bilder, Videos und Tonaufnahmen aus dem Archiv und aktuellen Interviews mit Backup-Sängerinnen, Industriekennern und Musikstars die Vor- und Nachteile der Disziplin. Der Regisseur zeigt erfolgreiche wie gescheiterte Sängerinnen, die alle zu einigen der bekanntesten Songs der vergangenen hundert Jahre beigetragen haben, von „Gimme Shelter“ (The Rolling Stones) bis zu „Sweet Home Alabama“ (Lynyrd Skynyrd). Gerade die Entstehungsgeschichten dieser Klassiker erweisen sich als amüsante wie kuriose Anekdotensammlung. Allerdings mangelt es dem Film dabei an einer dramaturgischen Linie. Viele interessante Themen - wie etwa der Einfluss des US-Gospelgesangs auf den britischen Rock oder die Ausbeutung afroamerikanischer Frauen durch die Musikindustrie und ihre Stars - werden aufgegriffen und fallengelassen. Aber der sensationelle Soundtrack voller Klassiker kaschiert das sehr gut.
Fazit: „20 Feet From Stardom“ macht auf einen lange eher stiefmütterlich betrachteten Aspekt der amerikanischen Musikgeschichte aufmerksam. Das Ergebnis ist vielleicht etwas zu überladen, aber trotzdem ungemein sehenswert.