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    Il Futuro - Eine Lumpengeschichte in Rom
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Il Futuro - Eine Lumpengeschichte in Rom
    Von Constantin von Harsdorf

    Es gibt Filme, die übertreiben es mit ihren Referenzen und Zitaten: Wenn nur ein bebrillter Schöngeist die Anspielung auf einen schwedischen Stummfilm aus den frühen 20er-Jahren erkennt, der Durchschnittszuschauer aber über das Treiben auf der Leinwand rätselt, kann leicht Unmut aufkommen. Den Spagat zwischen Zitaten auf der einen und allgemein verträglicher Unterhaltung auf der anderen Seite meistern nicht viele so virtuos wie etwa Quentin Tarantino. Mit „Il Futuro - Eine Lumpengeschichte in Rom“ ihrer Verfilmung des „Lumpenromans“ von Roberto Bolaño gelingt Alicia Scherson („Turistas“) der Spagat: Mit ihrem surrealen Genre-Cocktail verneigt sich einerseits tief vor der Filmgeschichte, erzählt im Kern aber eine aufregende Coming-of-Age-Geschichte.

    Als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen, sind die Geschwister Tomas (Luigi Ciardo) und Bianca (Manuela Martelli) plötzlich auf sich allein gestellt. Gemeinsam leben sie fortan in der elterlichen Wohnung in Rom. Als Tomas eines Tages die beiden undurchsichtigen Freunde Boloñes (Alessandro Giallocosta) und Libio (Nicolas Vaporidis) aus dem Fitness-Studio mit nach Hause bringt, spitzt sich die Lage zu. Die beiden Kleinkriminellen nisten sich bei den Geschwistern ein und fordern Bianca dazu auf, sich zu prostituieren. Sie soll das Vertrauen des blinden Maciste (Rutger Hauer) – einem ehemaligen Schauspieler und Mr. Universum – gewinnen und herausfinden, wo sich sein Safe befindet. Zwischen Maciste und Bianca entwickelt sich schon bald eine ganz besondere Beziehung, die den Auftrag für sie immer schwerer macht…

    Schon der Anfang von „Il Futuro“ gerät zu einem Kurztrip durch die Filmgeschichte: Ein gelber Fiat schlängelt sich von bedrohlicher Musik untermalt durch lang gezogene Straßen und lässt an Stanley Kubricks „Shining“ denken. Kurz darauf erstrahlen in goldenen Lettern der Titel des Films und der Kenner denkt an „Ben Hur“, der genau zu der Zeit gedreht wurde, in der Rutger Hauers Figur Maciste seine größten Erfolge als Schauspieler feierte. Als B-Movie-Star prügelte er sich durch italienische Sandalenfilme mit verheißungsvollen Titeln wie „Maciste in der Hölle“ oder „Maciste und die Vampire“, die sich Bianca mit zunehmender Faszination anschaut.

    All diese Referenzen geben „Il Futuro“ eine charmante Note und zeigen, welch Filmkennerin hier am Werke ist. Doch wenn die eigentliche Erzählung des Films nicht fesseln würde, blieben all diese Anspielungen nur öde Zitatenspielerei. Doch Scherson legt ihr Augenmerk nicht auf die Referenzen, sondern auf die außergewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte. Scherson nimmt sich viel Zeit, um das Schicksal der plötzlichen Waisenkinder Tomas und Bianca samt ihrer Ängste und Hoffnungen zu schildern. Noch verstärkt wirkt die Situation durch die sie umgebende Stadt, die hart von der Finanzkrise getroffen ist. Die beiden Kleinkriminellen Boloñes und Libio sind da nur Ausdruck einer perspektivlosen Jugend, die ihre Zeit im Fitness-Studio totschlägt.

    Biancas Zufluchtsort vor dieser kollabierenden Welt sind die kühlen Gänge und antik anmutenden Hallen von Macistes Anwesen. Kameramann Ricardo DeAngelis („Ein Ort auf dieser Welt“) findet für diese ungewöhnliche Beziehung Bilder von surrealer Schönheit, wobei besonders das Zusammentreffen der so unterschiedlichen Körper faszinierend umgesetzt ist: Hier die massive Erscheinung des ehemaligen Mr. Universum, auf der anderen Seite die zerbrechlich wirkende Bianca. Obwohl diese sich in Macistes Anwesen fast ausschließlich nackt bewegt, degradiert sie Scherson nicht zu einem Sexobjekt.  Mit viel Gespür beschreibt sie stattdessen die allmähliche Annäherung zwischen dem aus der Zeit gefallen wirkenden Altstar und einem Mädchen, das noch ihren Platz im Leben sucht und sich durch den Kontakt mit Maciste langsam zu emanzipieren beginnt. Je näher sich die beiden kommen, desto bedrohlicher wirkt Biancas eigentlicher Auftrag. Wenn es dann soweit ist, nutzt Scherson die Weitläufigkeit des Hauses für ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel, an dessen Ende ein Bild von berührender Tragik steht.

    Fazit: Alicia Schersons „Il Futuro - Eine Lumpengeschichte in Rom“ überzeugt auf unterschiedlichen Ebenen: einerseits eine Liebeserklärung ans Kino, andererseits ein Kommentar zu den Folgen der Finanzkrise, vor allem aber eine eindrucksvolle Erzählung über das Erwachsenwerden.

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