Eine gefühlte Ewigkeit hat man schon nichts mehr von John McNaughton gehört, jenem Regisseur, der 1993 auf dem Höhepunkt schien, als er die Krimikomödie „Sein Name ist Mad Dog“ (1993) mit viel Budget und großem Staraufgebot inszenieren konnte. Richtig für Aufsehen sorgte er noch einmal später - mit dem erotisch aufgeheizten Verwirrspielthriller „Wild Things“. Das war allerdings 1998, ist also schon viele Jahre her, in denen McNaughton mehr schlecht als recht im TV-Betrieb Beschäftigung fand. Sein erster und bis heute vielleicht bekanntester, sicher aber berüchtigtster Spielfilm, der seine Karriere in Gang brachte, ist „Henry: Portrait of a Serial Killer“ aus dem Jahr 1986. Wie der Titel schon andeutet, hat dieser viel mehr von einem Porträt hatte als von einem herkömmlichen Serienkillerfilm, viel mehr von einer Milieustudie als von einem Genrestück und bietet viel mehr düstere Atmosphäre als drastische Bildeffekte. Einige dieser Qualitäten hat McNaughton in den abgründigen Psychothriller „The Harvest“, quasi sein Kino-Comeback, erfolgreich übertragen können. Wenn der Regisseur sich jedoch daneben auch an der großen Geste und der hysterischen Zuspitzung versucht, scheitert er.
Es beginnt wie eine klassische Außenseitergeschichte: Der junge Andy (Charlie Tahan) ist gelähmt und wird von seinen Eltern von der Außenwelt abgeschottet. Zwischen dem Blick aus dem Schlafzimmerfenster und gelegentlichen Zockerrunden auf der X-Box stehen für Andy höchstens noch Heimunterricht, Essen, Schlafen und die Einnahme von Medikamenten auf dem Plan. Als Maryann (Natasha Calis) ins Nachbarhaus einzieht, schließen die beiden schnell Freundschaft – und während Andys Vater Richard (Michael Shannon) dieser neuen Situation zögernd, aber nicht vollkommen ablehnend gegenübersteht, verbietet Mutter Katherine (Samantha Morton) bald jeden Kontakt. Doch Maryann lässt sich nicht abschütteln und macht bald eine fürchterliche Entdeckung.
Der Weg dorthin führt über Andeutungen und betretenes Schweigen, das gleichwohl in jeder Sekunde ahnen lässt, welche existenziellen Konflikte unter der mühsam bewahrten Oberfläche brodeln. Im Gesicht von Michael Shannon, der das Getriebene im Melancholischen und das Verzweifelte im scheinbar Ruhigen in seiner Mimik immer wieder auf den Punkt bringt, es mit Rollen wie der des in die Paranoia abgleitenden Familienvaters in „Take Shelter“ womöglich zu seinem Markenzeichen gemacht hat, konzentriert sich diese Dialektik von Stillstand und Schrecken.
Richard, ausgebildeter Krankenpfleger, meint, der Sohn müsse weniger Medikamente bekommen, Katherine, die als Ärztin arbeitet, wirft ihm vor, nicht genug auf den Jungen zu achten und stattdessen dem Alkohol zu frönen. Er trifft sich mit einer Bekannten, die die Familie mit den Pillen versorgt und, was man früh erahnt, wird irgendwann klar: Er geht auch mit ihr ins Bett. Trotzdem ist er der kontrollierte Part. Samantha Morton („Control“) gleitet als Katherine dagegen immer wieder in Extreme der Aggression und der Hoffnungslosigkeit ab. Zwischen alledem wird klar, welch gewaltige Verdrängungsleistung diese Familie sich abverlangt. Dies ist einfühlsam geschrieben, überzeugend gespielt und so facettenreich dargelegt, dass man sich wünscht, „The Harvest“ möge das brillante Familiendrama bleiben, das der Film streckenweise ist.
Andererseits bleibt kaum ein Zweifel, dass es nur eines Funkens bedarf, um dieses fragile Konstrukt zur Explosion zu bringen. Die sympathisch neugierige Maryann ist somit der Katalysator nicht nur der schrecklichen Entdeckungsreise des Zuschauers, sondern auch der des Zusammenbruchs einer Familie. McNaughton beschleunigt dies aber mit einigen emotionalen und erzählerischen Spitzen, die das sorgsam austarierte erzählerische Gleichgewicht ins Kippen bringen. Die Verdichtung der Konflikte in Irrsinn und Wahn, die Verdeutlichung des Ambivalenten, das bisher die Stimmung geprägt hat – es ist die pure kinematographische Übertreibung, die da übernimmt.
Diese Übertreibung wird allerdings nicht so anarchisch und lustvoll betrieben wie es nötig gewesen wäre, um sie eindeutig als Bruch erkenntlich zu machen. McNaughton scheint vielmehr überzeugt, seine Auflösung sei die einzig konsequent logische dieser Geschichte, womöglich gar die zwingende, alles davor wäre dann nur Vorspiel gewesen. Hier – und auch noch im etwas platt illustrierenden Musikeinsatz – mangelt es dem Regisseur aber gerade am inszenatorischen Fingerspitzengefühl.
Fazit: „The Harvest“ funktioniert großartig als unheimliches Familiendrama, verliert sich gegen Ende jedoch in spekulativen Banalitäten.