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    Georg Baselitz
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Georg Baselitz
    Von Jan Hamm

    Will man einen Künstler mit Hilfe eines Films portraitieren, kann man es sich sehr einfach machen: Man wuselt ein wenig im Atelier und auf Ausstellungen herum, unterfüttert biographische Eckdaten mit Archivmaterial, führt einige Weggefährten-Interviews und besucht nebenbei noch den ein oder anderen halbwegs exotischen Ort – das Prozedere ist geläufig. Doch sehr viel schwieriger ist es für Dokufilmer, Künstler aus der Reserve zu locken. Wer es im Pfauengehege der Kunstwelt weit bringt, ist in puncto Selbstdarstellung nämlich meist ebenso fähig wie an der Staffelei. So jemandem beizukommen und nicht bloß einen glatten Image-Film abzuliefern, das erfordert Wachsamkeit und investigatives Geschick. Die erfahrene Dokuportrait-Spezialistin Evelyn Schels („Asiye und ihre Töchter") hat bereits gezeigt, dass sie über diese Eigenschaften verfügt. Dennoch bringt sie mit „Georg Baselitz – Ein deutscher Maler" wenig mehr als einen bildungsbürgerlichen Lobgesang zustande. Um das Revolutionäre an Baselitz' Gemälden und Skulpturen für Fachfremde begreiflich zu machen, hätte es zumindest ein Minimum an kunsthistorischer Kontextualisierung gebraucht. Um das, was seine Kunst in seinen Bewunderern auslöst, nachvollziehbar zu machen, hätte Schels ihren Interviewpartnern mehr als ehrfürchtige Superlative entlocken müssen. Und um den Menschen hinter dem Image greifbar zu machen, wäre schlichtweg mehr Mut zur Konfrontation nötig gewesen.

    Die erste halbe Stunde widmet die Regisseurin Baselitz' Biographie - ganz wie es sich gehört: eine Kindheit in der Oberlausitz, nach Ende des Zweiten Weltkriegs dann die betont unangepasste DDR-Jugend, später der Weg in den Westen, erst nach Berlin und 1963 zur ersten Ausstellung, 1966 dann vorerst ins Künstler-Exil nach Italien und schließlich in große Galerien. Wäre Baselitz nicht aus der DDR raus, wäre er, der ja alles immer „ganz heftig" mache, vielleicht zu einem schlechteren Menschen geworden – eine spannende Aussage, die einfach verhallt. Nur ganz selten wagt sich Schels mit merkwürdig unspezifischen Nachfragen vorwärts. Ob sich Baselitz für seinen Nazi-Vater geschämt habe? Nein, eigentlich nicht. Eher dafür, seiner hart arbeitenden Mutter nicht oft genug zur Hand gegangen zu sein. So weit, so trivial. Und seine erste Berührung mit der Kunst? Der Onkel väterlicherseits habe ihn eines Tages in ein Atelier geführt, das ihm wie eine Alchemistenwerkstatt vorgekommen sei. Bei einem Maler abstrakter Kunst durchaus ein geistreicher Vergleich, der jedoch wie nahezu alle interessanten Details in „Georg Baselitz" bloß mit einem Satz angerissen und dann wieder verworfen wird.

    Natürlich, um des Vaters Gunst hätten die Kinder ständig mit der Kunst konkurrieren müssen, wirft einer der Baselitz-Söhne ein. Bei den Enkeln sei das dann besser geworden. „Er holt also nach, was er bei Ihnen versäumt hat?", fragt Schels. Ihr Interview-Partner nickt. Na, dann ist ja alles klar. Sie würde ja nicht nur die Hochs sondern auch die Krisen ihres Mannes kennen, meint Baselitz-Gattin Elke: „Wie „depressiv" ist das." Achso? Egal, weiter im Text. Und der besteht über weite Strecken vor allem aus andächtiger Beweihräucherung. Was da von seinen Weggefährten und ihm selbst nicht alles über den Mann in Erfahrung zu bringen ist! Sentimental, sensibel, zielbewusst, fordernd, begeisterungsfähig, genial, überhaupt nicht Mainstream. Sicher, mit dem Bild „Die große Nacht der Eimer" von 1963, das einen onanierenden Jungen zeigt, hat er damals für große Aufregung gesorgt. Dass Baselitz bald zum Establishment aufschloss und ab 1977 Professuren in Karlsruhe und später Berlin übernahm, findet jedoch keine Erwähnung.

    Diese Entwicklung passt wohl einfach nicht zum Künstler-Narrativ, zumindest nicht so gut wie die freiwillige soziale Isolation, hier im ländlichen Italien, wo Kunst bekanntlich erst so richtig gedeiht. Einem der Baselitz-Gemälde darf man dort dann auch minutenlang beim Gedeihen zuschauen. Einer mysteriösen Idee folgend wirft der Maler Farbe auf seine liegende Leinwand, zieht Pinselstriche, tupft herum oder kratzt Getrocknetes durcheinander. Eine meditative Szene, die involvierender als der Großteil des Films ausfällt: Gemeinsam mit Baselitz darf man sich hier an ein Gemälde herantasten, es assoziativ wirken lassen und sich mit der Frage herumschlagen, ab wann intuitive Schmierage zur anerkannten Kunst wird. Fragen an die Kunst – eine große Rolle spielen sie hier nicht. Nur ein einziges Mal formuliert die Regisseurin selbst eine: Ob Baselitz' Arbeitsweise im Verlauf der Jahrzehnte anarchistischer geworden sei. Irgendwie schon, antwortet der. Was dies, vier Jahrzehnte nach der damals schon skandalträchtig anarchistischen „Nacht im Eimer", zu bedeuten hat, soll sich das Publikum aber bitteschön selbst zusammenreimen.

    Fazit: „Georg Baselitz" ist ein lupenreiner Image-Film, der nicht den leistesten Zweifel daran aufkommen lässt, wie bedeutsam Baselitz ist – und einem fachfremden Publikum nicht die leiseste Ahnung darüber vermittelt, worin genau diese Bedeutsamkeit besteht.

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