Sein Jüdischsein beweisen? Wer muss denn so etwas? Zum Beispiel, wer auf dem jüdischen Friedhof bestattet werden möchte. Ein Nachweis besteht in einer Geburtsurkunde der Mutter oder der Großmutter mütterlicherseits oder in einer Eheschließungsurkunde der Eltern. Aus vielen Gründen besitzen Überlebende des Holocaust solche Papiere oft nicht mehr: Sie gingen verloren oder wurden bewusst vernichtet. Dann können Familienfotos oder Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof weiterhelfen. Der jüdische Franzose Pierre-Henry Salfati erzählt mit der Tragikomödie „Der letzte Mentsch“ die Geschichte eines Mannes, der verzweifelt auf der Suche nach einem Beweis seines Jüdischseins ist, um in Ruhe sterben zu können. Trotz des starken Hauptdarstellers Mario Adorf verliert sich der Regisseur bei seinem Roadmovie aber allzu oft in Nebenhandlungen und -figuren.
Marcus Schwartz (Mario Adorf) ist alt und Gedanken an den eigenen Tod beschäftigen ihn immer öfter. Nach vielen Jahren des Verdrängens und Vergessens ist ihm seine jüdische Identität wieder wichtig geworden und er will auf dem jüdischen Friedhof begraben werden. Dass sein richtiger Name Mena’hem Teitelbaum ist, beweist aber nicht, dass er wirklich Jude ist. Papiere gibt es nicht mehr, Familie hat er keine und der Rabbi redet viel von Regeln und Bürokratie, ohne ihm zu helfen. Also macht er sich auf den Weg nach Ungarn, wo seine Familie herstammt. Durch Zufall gerät er an die junge Deutschtürkin Gül (Katharina Derr), die ihn im Auto mitnimmt. Auf ihrer Reise erleben sie groteske und schöne Momente, treffen bekannte Menschen und völlig Fremde und diskutieren immer wieder über Identität und Vergangenheit.
Wenn zwei sehr verschiedenen Menschen aufeinander treffen, hat das fast immer Potential für eine Geschichte. Im Fall von Marcus und Gül liegen die Lebensrealitäten sehr weit auseinander. Nur ist das Konstrukt „alter Jude“ und „junge Deutschtürkin“ in „Der letzte Mentsch“ nie mehr als genau das: ein Konstrukt. Bereits ihr Zusammentreffen und das gemeinsame Losfahren wirken sehr gewollt. Gül ist dabei weit mehr als rotzig: Sie duzt Marcus und zeigt nicht mal den Respekt, den man unter Gleichaltrigen erwarten würde (ein typischer Satz: „Willst du mich verarschen?“). Ihre jugendliche Unwissenheit wollte man als Eigenschaft wohl nicht ausreichen lassen. Dabei ist ihr absurder Vorschlag, Marcus sollte einen Bluttest machen, um beweisen können, dass er Jude sei, doch der viel interessantere Dialoganstoß.
Die deutsche Film- und Fernsehikone Mario Adorf („Der große Bellheim“) spielt Marcus vor allem anfangs als einen freundlichen Menschen, der sich gegen die dreiste Gül meist mehr charmant und gewitzt als autoritär durchsetzt, etwa bei der Frage des Rauchens im Auto. Er kann jedoch auch sehr zynisch werden, zum Beispiel wenn er ein weiteres Mal einem bürokratischen Rabbi gegenüber sitzt: „Die Nazis haben es nicht geschafft, mich umzubringen, ihr schafft es noch!“ Für Gül bringt die Reise einen enormen Lernprozess. Das hat man als Zuschauer am Ende durchaus begriffen. Dass sie sich die KZ-Nummer von Marcus in den Arm tätowiert, ist allerdings unnötig plakativ - auch wenn das in Israel in der Enkelgeneration gerade Trend ist.
Trotz aller Holprigkeiten gibt es in „Der letzte Mentsch“ immer wieder starke Szenen. Eine solche spielt relativ zu Beginn der Reise in einem Hotel in Budapest. Marcus sucht das Gespräch mit einer Nachfahrin der früheren Hotelbesitzer (Margot Gödrös). Er erinnert sich an sie, sie sich aber – angeblich - nicht an ihn. Er berichtet von seinen Eltern, die gerne dort arbeiteten, bis ihr Großvater sie an die Gestapo verriet. Glücklicherweise lassen Regie und der Schweizer Kameramann Felix von Muralt („Die schwarzen Brüder“) dem Zuschauer ausreichend Zeit, um in diesem Moment in den Minen der alten Menschen zu lesen.
Später, nach einem Zwischenstopp infolge eines merkwürdigen Unfalls mit einem Schwein und der Ankunft in Vác, nehmen aber immer mehr die Nebenhandlungen- und Nebenfiguren überhand. Da trifft Marcus die gleichaltrige, blinde Ethel (wirkt seltsam verkleidet: Hannelore Elsner). Gül trifft derweil in dem jungen Deutschen Arnold (Roland Bonjour) einen Mitarbeiter der Shoa Foundation von Steven Spielberg. Der wünscht sich, dass Marcus von seiner Vergangenheit erzählt, wie alle Überlebenden im Ort. Marcus weigert sich erst und erzählt dann doch. Gerade weil diese Szene eine der stärksten den Films ist, führen die anderen Fäden in die Irre. Die Nebenhandlung mit Ethel hinterlässt mehr Fragezeichen als sie zum Gelingen der Geschichte beiträgt. Und die komplizierte Liebesgeschichte zwischen Arnold und Gül ist völlig überflüssig.
Fazit: „Der letzte Mentsch“ begeistert mit einem mal wieder großartigen Mario Adorf in der Hauptrolle, der aber die merkwürdigen Wendungen des Drehbuchs nicht immer wettmachen kann.