Regiedebütanten haben es selten leicht. Erst recht, wenn sie etwas künstlerisch eigenständiges drehen und sich nicht für jeden x-beliebigen Job mit längst fertigem Drehbuch anheuern lassen wollen. Auch wenn Ryan Gosling als Schauspieler längst Respekt und Anerkennung genießt, musste auch er diese Erfahrung machen. Sein hier vorliegendes Erstlingswerk wurde von der Kritik sehr gemischt aufgenommen. Höchste Zeit, sich ein eigenes Bild davon zu machen.
Seine Charaktere leben in der heruntergekommenen Stadt Lost River. Kaum einer hat noch Hoffnung oder Perspektive, man kämpft um das nackte Überleben. Bones (Iain DeCaestecker) entdeckt auf einem Beutezug eine mysteriöse Straße, die geradewegs in einen See hineinführt. Seine Nachbarin Rat (Saoirse Ronan) weiht ihn in das Geheimnis dieses Ortes ein, der mit dem Schicksal von Lost River so manches zu tun hat. Als es in Bones Familie immer mehr bergab geht und in der Nachbarschaft immer wieder scheinbar willkürlich Häuser abgerissen oder verbrannt werden, beschließt er der Sache ein Ende zu machen und den Fluch ein für alle Mal zu brechen.
Man kann in diesem Fall ruhig vorwegschicken, dass es sich hierbei um einen Kunstfilm handelt. Die zugrunde liegende Handlung ist durchaus relevant, wird aber eigenwillig interpretiert. Während man in der ersten Hälfte dem Geschehen noch gut folgen kann, häufen sich danach einige Längen, die auch tolerante Cineasten die Stirn runzeln lassen können. Am Ende nimmt der Film aber noch einmal ordentlich Fahrt auf und präsentiert ein Finale, an das man mittendrin schon nicht mehr geglaubt haben mag.
Eine eindeutige Genreschublade für Lost River zu finden ist schwierig. Märchenfilm, urbane Legende, Psychodrama und vieles mehr kommt mir in den Sinn. Der Film scheint definitiv etwas aussagen zu wollen, es dauert nur einige Zeit bis klar wird, was da nun eigentlich gemeint ist. Im Großen und Ganzen könnte es eine Abrechnung mit dem amerikanischen Traum sein. Die Retro-Schlager während des Vor- und Abspanns deuten es bereits an. Der Handlungsstrang um die beinahe zwangsenteignete Familie und das dubiose Jobangebot eines Nachtclubbesitzers, der seinen Gästen erstaunliche realistische Blutorgien offeriert, schlägt ebenfalls klar in diese Bresche. Der gescheiterte Traum vom Eigenheim, die Flucht aus der verfallenden Stadt in den Süden und die Türen, die immer wieder mittig platziert in verschiedenen Szenen auftauchen, scheinen das noch zu untermauern.
Die in anderen Szenen wieder sehr geheimnisvolle Musik, die Märchenmotive und die zarte aber nie plakativ inszenierte Zuneigung zwischen Bones und Rat gehen in eine eher surreale Richtung. Dazu trägt auch die oft hypnotische und immer wieder faszinierende Bildgestaltung bei. Einer der Höhepunkte und Pluspunkte des Films ist definitiv seine Atmosphäre. Die vielfältigen echten Schauplätze (gedreht wurde größtenteils in der wirklich fast bankrotten Stadt Detroit) stellen jede noch so detaillierte Studiokulisse in den Schatten.
Darüber hinaus wird nicht jeder etwas mit dem Film anfangen können. Man muss sich auf die eigenwillige Erzählweise einlassen und es braucht womöglich ein Weilchen bis es richtig funkt. Selbst wenn nicht jeder der Darsteller das Drehbuch verstanden haben sollte, sie machen ihren Job gut und überzeugen in Rollen, die für die meisten von ihnen Neuland sein dürften. Wer ohnehin schon Fan des Dänen Nicolas Winding Refn sein sollte, mit dem Gosling als Darsteller schon mehrfach zusammengearbeitet hat, der wird sich hier sicher wohlfühlen. Die grellen Neonlichter und die eigenwillige Erzählweise dürften von dessen Arbeit inspiriert sein.
Schade ist, dass selbst die BluRay-Ausgabe bis auf einige Interviews und Trailer kein weiteres Bonusmaterial beinhaltet. Vor allem ein wenig mehr über die Drehorte und die Inspiration zum Drehbuch zu erfahren wäre sehr interessant gewesen. Dafür ist die Version auf der Disc länger als die Kinofassung und überzeugt mit einer farbgetreuen Wiedergabe im Heimkino.
Darsteller: Iain DeCaestecker, Saoirse Ronan, Matt Smith, Christina Hendricks, Ben Mendelsohn, Eva Mendes uvm.
Regie: Ryan Gosling
Jahr: 2014
Label: Tiberius Film
FSK: ab 16 Jahren