Der 22. November 1963 versetzte den USA einen Schock, dessen Wucht in den Nachkriegsjahren wohl nur mit den Geschehnissen des 11. Septembers 2001 zu vergleichen ist: John F. Kennedy, der 35. Präsident der Vereinigten Staaten, wird auf Wahlkampf-Tour in Dallas, Texas, erschossen. Die von der Regierung eingesetzte Kommission kommt in ihrem offiziellen Bericht über den Tathergang zu dem Ergebnis, dass der mutmaßliche Attentäter Lee Harvey Oswald allein und auf eigene Faust gehandelt habe. Diese Version war und ist allerdings höchst umstritten, denn die Aktenlage weist einfach zu viele Angriffspunkte und Ungereimtheiten auf. Auch den texanischen Schauspieler Bill Paxton, der zum Zeitpunkt des Anschlags acht Jahre alt war, beschäftigt die weltverändernde Bluttat bis heute. Bei der Lektüre von Vincent Bugliosis Sachbüchern „Four Days In November“ und „Reclaiming History: The Assassination of President John F. Kennedy” kam der „Titanic“-Star auf die Idee, einige Zeugen und Beteiligte, die an dem ominösen Tag eher am Rande des Geschehens standen, ins Zentrum einer neuen filmischen Betrachtung zum Kennedy-Attentat zu rücken. Paxton überzeugte seinen Kumpel Tom Hanks von diesem Ansatz und gemeinsam produzierten sie das sorgfältig recherchierte Historien-Drama „Parkland“, mit dem Journalist Peter Landesman sein Regiedebüt gibt. Trotz des durchaus interessanten neuen Blickwinkels bietet der erstaunlich unterkühlte Film aber letztlich wenig Neues an der Kennedy-Front.
Als am 22. November um 12.38 Uhr ein schwerverletzter Patient unter allergrößter Hektik und von einer Armada aufgeregter Anzugträger begleitet in das Parkland-Hospital von Dallas gebracht wird, ahnt der junge, überforderte Arzt Dr. Jim Carrico (Zac Efron) noch nicht, wen er da auf den Tisch der Notaufnahme bekommt: US-Präsident John F. Kennedy, der mit schwersten Schusswunden im Schädel um sein Leben kämpft. Um 13.00 Uhr wird er für tot erklärt – im Alter von nur 46 Jahren… Forrest Sorrels (Billy Bob Thornton) ist nach dem Attentat völlig konsterniert. Als Leiter des Secret Service in Dallas steht er schnell in der Kritik und übernimmt gleichzeitig die ersten Ermittlungen… Unter Druck gerät auch Abraham Zapruder (Paul Giamatti). Der Geschäftsmann hat die tödlichen Schüsse mit seiner Super-8-Kamera aus bester Sichtposition gefilmt und wird anschließend von den Geheimdiensten bedrängt, seine Aufnahmen zur Verfügung zu stellen… Schwer zu knabbern hat auch der lokale Secret-Service-Agent James P. Hosty (Ron Livingston), der den Attentäter Lee Harvey Oswald (Jeremy Strong) vor einigen Wochen in seinem Büro hatte, sich von ihm bedrohen ließ und nichts unternahm… Oswalds rechtschaffener Bruder Robert (James Badge Dale) ist derweil am Boden zerstört, er macht Lee schwere Vorwürfe…
Kaum ein Ereignis der Weltgeschichte ist ausführlicher dokumentiert als das Kennedy-Attentat. 50 Jahre später noch einen frischen Blick auf das Geschehen zu finden, ist da nicht einfach. Der Journalist und Neu-Filmemacher Peter Landesman hat es dennoch versucht und es ist ihm mit seinem dokumentarisch angelegten Drama zumindest ansatzweise gelungen. Er nimmt eine Reihe von Personen ins Visier, die bisher nicht im Rampenlicht standen und beleuchtet die vier Tage nach dem Attentat damit aus einer ungewöhnlichen Perspektive. An der durchaus fragwürdigen offiziellen Ein-Täter-Theorie rüttelt er indes nicht, die Untersuchung der Hintergründe und etwaiger (Verschwörungs-)Theorien zum Hergang lässt er vielmehr komplett außen vor. Und auch die handelnden Personen betrachtet Landesman aus einer unparteiischen Halbdistanz: Er bietet mehr als ein Dutzend mehr oder weniger wichtige Figuren auf, die oft mit bekannten Darstellern wie Billy Bob Thornton, Zac Efron, Jackie Earle Haley, Marcia Gay Harden, Tom Welling, Colin Hanks, Jacki Weaver oder Ron Livingston besetzt sind, aber ein Zugang zu ihrer Psyche eröffnet sich dem Betrachter nur selten. Einzig die persönliche Tragödie von Lee Harvey Oswalds Bruder Robert berührt nachhaltig, weil seine innere Zerrissenheit in James Badge Dales („The Lone Ranger“) engagierter Darstellung nachvollziehbar wird. Daneben bringt Paul Giamatti („Sideways“) als Hobbyfilmer Abraham Zapruder wenigstens für Momente die Qual eines Mannes zum Ausdruck, der ungewollt Geschichte geschrieben hat.
Bei der erzählerischen Verdichtung seines ausufernden Materials zeigt Peter Landesman deutliche Schwächen, bei der präzisen Beobachtung selbst kleinster Details kommt ihm hingegen sein journalistischer Hintergrund zugute. Inszenatorisch wandelt der Erstlingsregisseur dabei auf den Spuren von Handkamera-Realist Paul Greengrass („Das Bourne Ultimatum“, „Captain Phillips“) und dessen Stammkameramann Barry Ackroyd („Flug 93“, „The Hurt Locker“) verleiht passenderweise nun auch „Parkland“ einen kühl-blautönigen Reportage-Look. Durch die dynamisch-schwerelose Handkameraarbeit wird der Zuschauer ganz nah ans Geschehen herangeführt - das gewährt zuweilen packende Einblicke, etwa wenn Kennedy in Lachen von Blut auf dem OP-Tisch gegen den Tod ankämpft und gleichzeitig Heerscharen von Geheimdienstlern hilflos wie aufgescheuchte Hühner umherirren oder wenn später der massive Sarg des Präsidenten nicht durch die engen Gänge der Air Force One passt und der Secret Service kurzerhand das Flugzeug auseinandersägt, um seinen toten Anführer nach Washington bringen zu können. Doch im Gegensatz zu Greengrass‘ markerschütterndem Doku-Drama „Flug 93“, in dem der Filmemacher Teile der 9/11-Tragödie nachstellt, erreicht „Parkland“ trotz faszinierender Einblicke in bisher wenig beachtete Nebenaspekte eines nationalen Albtraums kaum eine emotionale Wirkung – die Nähe bleibt hier über weite Strecken rein äußerlich.
Fazit: In Peter Landesmans akribisch recherchiertem Doku-Drama „Parkland“ werden einige bemerkenswerte Randnotizen zum Geschehen rund um das Attentat auf John F. Kennedy sichtbar. Über die detailgetreue historische Rekonstruktion vergisst der Filmemacher jedoch das Geschichtenerzählen und verliert sich zunehmend in öder Faktenhuberei.