Rassismus ist auch nach der Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten noch ein brandheißes Thema in den USA. Die tragische Geschichte Afroamerikas ist noch lange nicht vollständig ergründet und erst recht nicht aufgearbeitet. Mit seinem Dokumentarfilm „United States Of Hoodoo" will Oliver Hardt Licht in eben diese hochkomplexe Historie bringen. Dabei soll aber keineswegs ausschließlich von jahrhundertelanger Unterdrückung, mühsamer Emanzipation und dem Kampf um Bürgerrechte erzählt werden. Statt bedeutungsschwanger Martin Luther Kings berühmte „I have a dream"-Rede zu bemühen und wohlfeile Politik zu betreiben geht Hardt einer anderen Frage nach: Wo in der amerikanischen Kultur sind afrikanische und später afroamerikanische Einflüsse besonders sicht- und spürbar? „United States Of Hoodoo" ist ein im selbstbewussten Plauderton erzählter Kunstgeschichts-Exkurs, der tief in die Seele eines Landes führt und dabei gräbt Hardt rassistischen Wertungen ohne erhobenen Zeigefinger das Wasser ab.
Für den afroamerikanischen Schriftsteller Darius James steht eines fest: Ohne die Einflüsse aus der afrikanischen Kunst wäre die gegenwärtige US-Popkultur nicht denkbar. Damit meint er nicht nur die Geschichte der Rockmusik vom Blues bis zu Michael Jackson – obwohl auch dieser Aspekt mit einem Trip in den Süden abgedeckt wird, wo die künstlerische Ahnenlinie von Blues-Musikern wie Robert Johnson bis zu den Rolling Stones nachvollzogen wird. Auch im Bereich der bildenden Kunst, der Street Art, der Mystik und nicht zuletzt in der Kochkunst hat „der schwarze Mann" die amerikanische Kultur geprägt. Hardt begleitet James auf eine Spurensuche von New York über das Mississippi-Delta bis in die Voodoo-Hauptstadt New Orleans und demonstriert eindrucksvoll, worauf auch zahlreiche Vertreter des Postkolonialismus immer wieder verweisen: Jeder rassistischen Politik zum Trotz findet ein ständiger multikultureller Verschmelzungsprozess statt.
Mit Darius James als Erzähler, Zentrum und Star hat Hardt einen idealen Chronisten engagiert. Der Autor, der bereits bei der TV-Doku „Black Germanny" mit Hardt zusammenarbeitete, wirkt mit seinen Dreadlocks und T-Shirts einerseits wie der schwarze Bruder des Dudes aus dem Coen-Kultklassiker „The Big Lebowski". Andererseits entpuppt er sich schnell als redegewandter Spät-Beatnik, der spannende Bewusstseinsstrom-Monologe hält. Besonderes Augenmerk legt James auf die Hoodoo-Kultur, eine Melange aus afrikanischer und indianischer Naturreligion. Davon erzählt er ohne jeglichen Esoterik-Kitsch, stattdessen hört man seinem rhythmischen Sprachjazz einfach gerne zu. So sympathisch wie James ist auch die Seite von Amerika, die Hardt hier zum Vorschein bringt – weit jenseits absoluter Entwürfe, polternder Weltpolizei oder naiver „Obamamerica"-Utopie.
Oliver Hardt zeigt Bilder eines Landes, das beseelt und erfrischend „normal" ist, wenn man es lässt. Auf Hochglanz-Collagen des Big Apple verzichtet er und zeigt New York lieber als greifbaren Lebensraum samt Hinterhöfen und Hausfluren, statt die Stadt weiter zu mythologisieren. Der Streifzug durch Hardts US-Landschaften ist ein echtes Vergnügen – vor allem der Zwischenstopp auf einer Jam-Session der Afro-Beat-DJane Val Jeanty alias Val-Inc, bei der die Künstlerin die Mystik und die geheimen Rituale ihres Sounds erklärt. Spannend sind auch die Ausführungen zu den afrikanischen Einflüssen im Kubismus, insbesondere auch im Werk Picassos. Später zieht es Hardt und James dann in den schwülen Süden, um dort den Blues zu erforschen, in Anekdoten und Mythen zu schwelgen und die Geburt des Rock'n'Roll zu feiern.
Die Art und Weise, mit der James alte Geschichten aufgreift und variiert, ist so charmant, dass auch Blues-Kenner bestens unterhalten werden und der Verzicht auf auflockerndes Archiv-Material wie selbstverständlich scheint. Schwierige historische Themen werden aber trotz des überwiegend beschwingten Erzählstils nicht ausgeklammert: Auf einem Spaziergang erzählt die Historikerin Kanene Holder vom harten Los der schwarzen Arbeiter, die New York errichtet haben und dann in anonymen Massengräbern verscharrt wurden – ein Verbrechen, das in stadtgeschichtlichen Büchern allzu lange verschwiegen wurde. Auf politische Belehrungen ist Hardt jedoch nicht aus. Wozu auch? Der mit berechtigtem Selbstbewusstsein präsentierte afroamerikanische Beitrag zur US-Kultur spricht für sich.
Fazit: „United States of Hoodoo" ist eine erhellende, spaßige und vor allem wunderbar positiv gestimmte Dokumentation über die schwarzen Wurzeln amerikanischer Kultur.