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    American Hustle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    American Hustle
    Von Carsten Baumgardt

    Was passiert, wenn ein überaus fähiger, aber eigenwilliger Regie-Querkopf in Hollywood zwei Hits in Folge landet, die dazu noch günstig produziert wurden und viele Preise absahnten? Richtig, er kann aus dem Vollen schöpfen: Er bekommt nicht nur ein finanzielles Upgrade (Budget jetzt: 40 Millionen Dollar) und die freie Auswahl unter den schauspielerischen Hochkarätern der Traumfabrik, sondern er darf sich auch künstlerisch voll entfalten. Diese neuen, größeren Freiheiten nutzt der einstige Indie-Regisseur David O. Russell nach den mit zusammen drei Oscars und 15 Nominierungen ausgezeichneten „The Fighter“ und „Silver Linings“, um die Exzentrik bis zum Exzess zu steigern. Mit „American Hustle“, der fiktiven Verfilmung des realen Abscam-Politskandals, legt er eine grandiose, herausragend gespielte und famos in Szene gesetzte 70er-Jahre-Satire vor, die zuweilen stärker an Russells experimentell-verspielten „I Heart Huckabees“ von 2004 erinnert als an die prestigeträchtigen und eher realistisch gehaltenen unmittelbaren Vorgänger. Und dabei gelingt dem Filmemacher auch noch ein ganz besonderes Kunststück: Ohne die tragischen Dimensionen und Themen seines Stoffes zu vernachlässigen, sorgt er für gnadenlos gute Unterhaltung und macht so aus „American Hustle“ ein emotionales Drama und ein locker-leichtes Schelmenstück zugleich. Meisterhaft!

    1978: Der Trickbetrüger Irving Rosenfeld (Christian Bale) ist zwar der rechtmäßige Inhaber von mehreren Waschsalons in New York, verdient den Löwenanteil seines Geldes allerdings mit diversen Gaunereien. Mit gefälschten Kunstwerken etwa oder mit dem Abzocken von Verzweifelten, die in akuter Geldnot stecken. Denen knüpft er eine Gebühr von 5.000 Dollar ab und verspricht ihnen gemeinsam mit seiner Partnerin und Geliebten Sydney Prosser (Amy Adams), die als adlige Engländerin Lady Edith Greensly aufritt, die Vermittlung eines hohen Kredites - wozu es jedoch nie kommt. Als das kongeniale Duo von dem ehrgeizigen FBI-Agenten Richie DiMaso (Bradley Cooper) festgenagelt wird, schlägt der einen Deal vor: Irving und Sydney sollen ihm mit ihren besonderen Fähigkeiten helfen, korrupte Politiker zu überführen und gehen bei Erfolg straffrei aus. Das Gaunerpaar willigt nach einigem Zögern ein, doch ganz so einfach wie erhofft gestaltet sich die Aktion nicht, denn Irvings neurotische Ehefrau Rosalyn (Jennifer Lawrence) klammert sich verbissen an ihren Noch-Mann, was die Operation nicht unbedingt begünstigt. So wird das erste Ziel unter erschwerten Bedingungen ins Visier genommen: Bürgermeister Carmine Politio (Jeremy Renner) aus Camden, New Jersey, will die Region wieder nach vorne bringen und nimmt dafür auch ungesetzliche Umwege in Kauf…

    Mit der unter dem Namen Abscam (für „Arab Scam“) bekannt gewordenen Geheimoperation wollte die US-Bundespolizei FBI 1978 eigentlich Hehler von Diebesgut überführen, sie wuchs aber schnell zu einer heiklen Untersuchung von öffentlicher Korruption aus, in deren Folge ein US-Senator und fünf Abgeordnete des Repräsentantenhauses sowie der Bürgermeister von Camden, New Jersey zu Gefängnis- und/oder Geldstrafen verurteilt wurden. Den Amtsträgern wurde vorgegaukelt, ein steinreicher arabischer Magnat wolle größere Summen in die lokale Infrastruktur investieren und erwarte im Gegenzug politischen Schutz und Hilfe beim Geldschmuggel. Pikant: Der verurteilte Trickbetrüger Melvin Weinberg (das Vorbild für Bales Irving Rosenfeld) kassierte 150.000 Dollar für seine Teilnahme an diesem Täuschungsmanöver. Regisseur David O. Russell und sein Co-Autor Eric Singer („The International“) nehmen sich dieser im Kern dramatisch-tragischen Geschichte an, fiktionalisieren sie und drehen sie einmal auf feinster Stufe durch den Satire-Fleischwolf. Sie lassen in jeder Szene leichtfüßig-elegante Ironie und eine Spur Sarkasmus durchschimmern und halten perfekt die Balance zwischen Komödie und Drama – so wird das Zuschauen bei dem bizarren Treiben zu einem puren Vergnügen.

    David O. Russell interessiert sich spürbar mehr für die Eigenheiten der skurrilen Figuren als für eine homogen dargebotene, dramaturgisch runde Geschichte. Im Zweifelsfall lässt er seine überragenden Darsteller einfach gewähren, auch wenn das hin und wieder zur Folge hat, dass der Film erzählerisch aus dem Rhythmus gerät. Der Regisseur bereitet dem entfesselt aufspielenden Personal vor der Kamera die ganz große Bühne und das führt zu einer ganzen Reihe von denkwürdigen und kultverdächtigen Sequenzen, so zum Beispiel eine umwerfende Montage von Party-Impressionen, die damit endet, dass Christian Bale und Jeremy Renner lauthals Tom Jones‘ Schmachtfetzen „Delilah“ intonieren. Ähnlich mitreißend ist es auch, wenn Jennifer Lawrence als White-Trash-Tornado spät im Film eine völlig durchgeknallte One-Woman-Show zu „Live And Let Die“ (von Paul McCartney & The Wings) hinlegt und in die Kamera singt. Aber damit nicht genug, denn während dieser Einlage muss sich im Gegenschuss eine andere Figur den Leben-und-Tod-Themen des Songs stellen – hier wird der filmische Wahnsinn zur Methode! Und das ist nur einer von mehreren solcher abgedreht-fiebrigen David-O.-Russell-Momente in bester „Three Kings“-Tradition, die sich umgehend ins Gedächtnis brennen, weil sie so brillant over the top inszeniert sind und zugleich voller Emotionen stecken.

     

    Der Erzählton mag eher leicht sein, die Handlung ist dennoch recht komplex und wird auf mehreren ineinander verschränkten Ebenen entfaltet. Hier geht es um Liebe und Verrat, um Betrug und Gegenbetrug, daher arbeitet auch Russell mit doppelten Böden und kleinen erzählerischen Kniffen. Wer gerade mit wem kooperiert oder wer wen wie übers Ohr hauen will, das ist kaum einmal ganz sicher und stets spannend zu verfolgen. Dabei besteht selbstverständlich ein himmelweiter Unterschied zwischen dem, was die Figuren sagen und dem, was sie wirklich vorhaben. So stehen die fünf zentralen Akteure der Reihe nach mit dem Rücken zur Wand und müssen sich mit Geschick und Raffinesse aus der misslichen Lage befreien – und dabei münden selbst todernste Konflikte immer wieder in zum Schreien komische Situationen. Russell lässt sich von seiner ironischen Grundhaltung nicht abbringen und reizt das durch den unverkennbaren Look, irre Frisuren und die passende Musik herbeigezauberte 70er-Jahre-Feeling genüsslich aus. Es reicht ihm nicht, dass er Beau Bradley Cooper („Hangover“) mit Vollbart und einer lächerlichen Pudelfrisur peinigt, nein, er führt den exzentrischen FBI-Agenten DiMaso auch in Lockenwicklern daheim bei Mutti vor, ehe er ihn als vor Potenz strotzenden Gockel mit weit geöffnetem Hemd und wehendem Mantel durch die Straßen stolzieren lässt. Cooper wirkt bei dieser Tour de Force des schlechten Geschmacks indes nie lächerlich, sondern behält immer seine Würde. Urkomisch!

    Die erwähnten fünf Hauptfiguren werden von einem Darstellerquintett in astreiner Oscarform verkörpert. Neben Cooper, der wie ein wild gewordener Schauspiel-Mustang ausbocken darf, ist Jeremy Renner („Das Bourne Vermächtnis“) mit seiner herzerwärmenden Darstellung des korrupten, aber dennoch moralisch integren Provinz-Bürgermeisters die kleinste Nummer des Fünflings. Schließlich sind da noch Christian Bale („The Dark Knight“-Trilogie) und Amy Adams („Man Of Steel“), die hier für das feine und nuancenreiche Spiel zuständig sind. Bale, der für das Projekt wieder einmal 20 Kilogramm zulegte, mehr als zwei Stunden beim konsequenten Tragen seiner ausdrucksstarken Leidensmine zuzusehen, ist ein reines Vergnügen. Sein Irving Rosenfeld ist das Herz des Films, gerade weil es ihm nicht immer gelingt, seinem moralischen Kompass zu folgen: Er ist Bedenkenträger, Auf-Nummer-sicher-Geher, warmherziger Familienvater und skrupelloser Betrüger zugleich.

    Auf der Frauenseite verkörpert die ebenso wie Jennifer Lawrence mit dem Golden Globe ausgezeichnete Amy Adams virtuos drei Figuren in einer: die Person, die sie ist oder besser war (die gesellschaftlich chancenlose Sydney Prosser), dazu jene, die sie vorgibt zu sein (Lady Edith Greensly) und schließlich die namenlose, die sie wirklich sein will. Auch Lawrence („Die Tribute von Panem“) zeigt einmal mehr ihre Extraklasse. Inspiriert von echten Mitgliedern der „Real Housewives Of New Jersey“ gibt die Oscarpreisträgerin (für „Silver Linings“) auf den ersten Blick eine markig-durchgeknallte White-Trash-Blondine, die pöbelnd um ihren Mann kämpft, doch zugleich gibt sie ihrer Rosalyn für Momente eine verblüffende Tiefe – dann wird aus schreiender Dummheit mit einem Fingerschnippen Bauernschläue. Und wer es sich leisten kann, eine zweifach oscarprämierte Schauspiellegende für nur eine markante, sein Image persiflierende Sequenz aus dem Hut zu zaubern, um ein weiteres Highlight zu setzen, ist einfach auf der Gewinnerseite.

    Fazit: Regisseur David O. Russell knüpft da an, wo er mit „The Fighter“ und „Silver Linings“ aufgehört hat und macht mit „American Hustle“ das Triumph-Trio komplett. Die herrliche Satire ist ein wildes, vor inszenatorischem Selbstbewusstsein berstendes Meisterwerk mit Ecken und Kanten - erzählerisch manchmal etwas unrund, aber dafür mit zum Niederknien komischen absurden Spitzen und einer schlicht genialen Besetzung.

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