Steve McQueens superstilisiertes Drama „Shame" mit Michael Fassbender als sexsüchtigem New Yorker Yuppie hat viele Fans. Die FILMSTARTS-Redaktion gehört nicht dazu. Mein Kollege Björn Becher beschreibt den Film in seiner Kritik als „inhaltsleere Sequenz hipper Hochglanzbilder": ein typischer Fall von Form vor Inhalt und Ernsthaftigkeit um der Ernsthaftigkeit willen. Auch in Joseph Gordon-Levitts Debüt als Autor und Regisseur, der Komödie „Don Jon", geht es nun um die Sucht des Protagonisten, genauer gesagt um sein unstillbares Verlangen nach Internetpornos. Allerdings ergeht sich der „The Dark Knight Rises"-Star dabei nicht in bedeutungsschwangeren Plattitüden, sondern begegnet seinem schlüpfrigen Sujet mit Charme, Witz und einer gehörigen Portion Selbstironie. Deshalb ist „Don Jon" viel besser als „Shame", auch wenn Gordon-Levitt in Sachen inszenatorischer Finesse noch einen weiten Weg vor sich hat.
Jon Martello (Joseph Gordon-Levitt) ist ein verdammt gutaussehender Bodybuilder-Typ mit genügend Charisma, um am Wochenende regelmäßig die heißesten Bräute abzuschleppen. Seine Kumpels nennen ihn deshalb auch nur noch Don Jon (nach Don Juan, dem größten aller Liebhaber). Aber nach dem Sex, wenn die Frau eingeschlafen ist, schlüpft Jon stets noch einmal aus dem Bett, um vor seinem Laptop zu masturbieren. Denn Sex selbst mit der schönsten aller Frauen könnte für ihn nie das Hoch ersetzen, das er durchlebt, wenn sich auf seinem Bildschirm willige Schlampen räkeln. Beim echten Sex gibt es schließlich keine bedingungslosen Blowjobs und man muss der Partnerin in der Missionarsstellung ins Gesicht schauen, statt sie bequem von hinten zu nehmen. Jon hat sich eine Menge Gedanken über seine Sucht gemacht, zum Beispiel fasst er seinen Penis erst an, wenn er den perfekten Clip gefunden hat. Auch sein Rekord ist beeindruckend: elf Mal an einem einzigen Tag! Doch dann verliebt sich Jon in die selbstbewusste Barbara (Scarlett Johansson). Und als die von seinem Online-Treiben Wind bekommt, stellt sie ihn vor die Wahl: Deine Pornos oder ich?
Im ersten Moment erkennt man Joseph Gordon-Levitt („Inception", „Looper") gar nicht wieder. Sicherlich war er immer schon ein sportlicher Typ, aber als aufgepumpten Muskelprotz hat man ihn bisher noch nicht gesehen. Monatelang hat er fünf Mal die Woche trainiert und nur noch Hühnchen gegessen. Man kennt das von Hugh Jackman, wenn mal wieder ein neuer „Wolverine"-Blockbuster ansteht, aber eine solche Tortur für eine Independent-Komödie? Das verwundert zunächst! Doch auf das kurze Stutzen folgt direkt der Gedanke: Klar, wenn er als Schauspieler schon selbst Regie führt, dann will er sich auch im bestmöglichen Licht präsentieren. Aber weit gefehlt! Gordon-Levitt mag aussehen, als wäre er gerade auf dem Weg zum Mister-Universum-Wettbewerb, aber er begegnet seiner Figur mit einem Maß an Selbstironie, das allenfalls noch von den Unmengen an Gel in Jons geleckten Haaren übertroffen wird. Die Highlights: Jons Dickkopf-Diskussionen am Mittagstisch mit „Wer ist hier der Boss?"-Star Tony Danza als seinem herrlich störrischen Vater. Unbezahlbar: Jons verständnisloser Blick, wenn er nach der Beichte genauso viele Rosenkränze wie beim letzten Mal aufgebrummt bekommt, obwohl er dem Pater doch gerade ganz stolz berichtet hat, dass er inzwischen viel seltener masturbiert.
Ähnlich wenig acht auf das eigene Superstar-Image gibt auch Scarlett Johansson („The Avengers"). Ihre ersten Auftritte entsprechen zwar noch denen eines klassischen Rom-Com-Love-Interest, aber dann entpuppt sich Barbara doch recht bald als zielstrebige White-Trash-Aufsteigerin, die genau weiß, was sie von einem Mann erwartet und ihn notfalls auch so lange verbiegt, bis er ihren Ansprüchen zu 100 Prozent entspricht (Jon darf nicht einmal mehr seine Wohnung selbst saugen, weil sich putzen für einen echten Mann nicht geziemt). Überzeugend wie immer ist auch Julianne Moore („The Kids Are All Right") als ständig heulende und kiffende Kommilitonin in Jons Abendschulkurs. Wenn Gordon-Levitt über diese Figur allerdings eine unerwartete Wendung ins Dramatische vollführt, dann lässt dieser irritierend abrupte Wechsel des Erzähltons den Film dramaturgisch nahezu entgleisen. Auf diesen Versuch, seinen Film noch auf der Zielgeraden mit zusätzlicher Bedeutung aufzuladen, hätte der Regie-Debütant besser verzichtet.
Fazit: Joseph Gordon-Levitts erster Anlauf als Regisseur und Autor erweist sich als ebenso charmante wie schlagfertige Pornosucht-Komödie – jedenfalls bis sie gegen Ende in weniger überzeugende, ernsthaftere Gefilde abdriftet.