Was im Rahmen einer Psychotherapie passiert, hat in der Regel wenig mit den zugespitzten Ausschnitten zu tun, wie man sie aus Kino oder Fernsehen kennt. Dass Therapie nicht bedeutet, Menschen eine Runde plauschen zu lassen und ihnen dann ihre Probleme zu erklären, sondern dass sie vor allem schrittweise neuen Freiraum zur Selbstbetrachtung schaffen soll – das ist bisher nur in wenigen Produktionen wie etwa dem Serien-Kritikererfolg „In Treatment - Der Therapeut" thematisiert worden. Auch Regisseur Calle Overweg geht mit seinem Film „Beziehungsweisen" einen ähnlichen Weg und zeigt Episoden aus den therapeutischen Gesprächen dreier Paare. Dabei treffen Schauspieler auf echte Therapeuten und authentische Sitzungen auf nachgespielte Szenen – ein Konzept, dass Overweg selbst als „gespielten Dokumentarfilm" bezeichnet. Das passt zum im Brecht'schen Sinne epischen Inszenierungsstil, mit dem die filmische Illusion von der ersten Sekunde an konsequent durchbrochen wird. „Beziehungsweisen" ist eine erhellende Beobachtung psychotherapeutischer Arbeit, aber dabei mehr Praxistest denn Lehrstunde. Wer mehr über psychologische Theorie erfahren will, wird hier nicht fündig.
Seit Dorothea (Abak Safaei-Rad) nach vierjähriger Babypause wieder berufstätig ist, kriselt es in ihrer Ehe mit Herrmann (Leopold Altenburg). Während sie sich in ihrer Tätigkeit nicht respektiert fühlt, entsteht bei ihm der Eindruck, seine Frau würde das Familienleben vernachlässigen. Heiko (Axel Hartwig) und Amelie (Anja Haverland) können sich nicht darüber einigen, ob sie Eltern werden oder das ungeborene Kind abtreiben lassen wollen. Ein nur wenige Monate zurückliegender Seitensprung Heikos verkompliziert die Situation. Nach ihrem Selbstmordversuch wird Eva (Franziska Kleinert) von ihrer Tochter zu einer Paartherapie mit Ehemann Siegfried (Gerhold Selle) gedrängt. Seit der in Rente ist, treten bislang totgeschwiegene Konflikte zwischen den seit langem verheirateten Eheleuten an die Oberfläche. Die drei Therapeuten Heidemarie Zunken-Kreplien, Joachim Maier und Marion Braun begleiten die drei Paare in ihrem Wiederannäherungsprozess. Doch nicht für jedes Problem gibt es eine Lösung...
Das Besondere an Calle Overwegs Konzept für „Beziehungsweisen" ist, dass die drei Paare zwar von Schauspielern dargestellt werden, nicht aber die Therapeuten. Die Psychologen sehen sich hier jeweils zwei Klienten gegenüber, deren Hintergrund sie nicht kennen und zu denen sie in einen therapeutischen Dialog treten sollen. Overweg beleuchtet die kriselnden Beziehungen auf drei verschiedenen Ebenen. Den größten Teil seines Films bilden die Therapiegespräche. Zwischendrin werden Alltag und Vergangenheit der Figuren in Spielszenen nachgestellt. Auf der dritten Ebene wird die Illusion authentischer Gespräche gebrochen, indem der Therapeut im Dialog mit dem Regisseur selbst über die Therapiesitzungen reflektiert und den Schauspielern ein Feedback zu ihrer Performance gibt. Dieser Bruch zieht sich durch den ganzen Film: Bereits zu Beginn zeigt Overweg den Aufbau des Sets, die Toningenieure im Hintergrund, das Equipment. Die Therapiesituation und die nachgespielten Szenen finden in einem schwarzen Raum statt, dem mit einigen wenigen Requisiten ein konkreter Ort zugeschrieben wird. Die unsichtbaren Türen, deren Öffnen und Schließen akustisch verdeutlicht wird, und die auf dem Boden aufgemalten Grundrisse erinnern dabei an „Dogville", bei dem Lars von Trier einen ähnlichen Kunstgriff angewendet hat.
Der Verfremdungseffekt, der durch das ungewöhnliche Set-Design entsteht, verhindert, dass das Publikum in eine voyeuristische Position versetzt wird. Die Künstlichkeit der Situation ist stets präsent, niemals kommt der Verdacht auf, es würde sich hier um „echte" Beziehungsprobleme handeln. Gleichzeitig verleihen die Schauspieler ihren Figuren so viel Überzeugungskraft, dass die fiktiven Schicksale tatsächlich bewegen. Inhaltlich arbeitet Overweg dabei mit recht stereotypen Beziehungskonstellationen. So haben seine drei Szenarien einen Wiederkennungswert, der die Identifikation und die Übertragung auf Vertrautes erleichtert: Ihm geht es nicht um spektakuläre Streitfälle, sondern um die therapeutische Arbeit. Die Sequenzen, in denen die Psychologen Feedback geben und die Therapieszenen in einen professionellen Kontext stellen, sind allerdings rar und kurz gehalten – tiefergehende Einblicke in die Paradigmen der Psychotherapie bleiben so trotz einer interessanten Demonstration der Arbeitspraxis aus.
Fazit: Calle Overwegs „Beziehungsweisen" ist ein formal außergewöhnliches Film-Experiment, in dem verbreitete zeitgenössische Beziehungsprobleme auf unterschiedlichen Ebenen reflektiert werden und in dem paartherapeutische Arbeit sehr anschaulich gemacht wird.