Mein Konto
    Parada
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Parada
    Von Robert Cherkowski

    Der Weg homosexueller Menschen aus der Illegalität über die bürgerliche Verachtung bis hin zur zumindest partiellen gesellschaftlichen Akzeptanz war lang und steinig – und zu Ende gegangen ist er noch lange nicht. Selbst wenn heute kaum noch eine westliche Großstadt ohne „Christopher Street Day"-Parade auskommt, Homosexuelle als Künstler und Entertainer nicht aus unserer Mitte wegzudenken sind und sie sogar aussichtsreiche Polit-Karrieren verfolgen können, sind Outings in vielen Ländern immer noch sehr gefährlich. In mehreren afrikanischen Staaten wird Homosexualität mit Zuchthausstrafen geahndet, während iranische Femegerichte nicht selten mit sofortiger Hinrichtung beschlossen werden. Auch in Teilen Osteuropas haben Schwule und Lesben ein schweres Kreuz zu tragen; immer wieder kam es dort bei Gay-Pride-Paraden zu gewalttätigen Übergriffen. Mit „Parada" thematisiert der serbische Regisseur Srđan Dragojević nun eben diese Ressentiments – in Form einer grellbunten Problemkomödie mit sprichwörtlichem Haudrauf-Humor und kämpferischem Gestus.

    Nach einer düsteren Vergangenheit im Kosovo-Krieg und einer kriminellen Karriere, die ihn durch ganz Europa führte, hat sich Limun (Nikola Kojo) zum Chef einer Security-Firma gemausert. Sein Geld verdient er halblegal mit Räumungen für windige Bauvorhaben. Nachdem er den Kontakt zu seiner ersten Frau und dem gemeinsamen Skinhead-Sohn Vuk (Relja Popović) abgebrochen hat, will er seine Freundin Biserka (Hristina Popovic) heiraten. Als Limun jedoch Biserkas schwulen Hochzeitsplaner Mirko (Goran Jevtic) zusammenschlägt, droht die Eheschließung zu platzen. Mirko will die Aufgabe dennoch wahrnehmen – wenn Limun und seine Security-Schergen als dringend nötige Bodyguards bei einer Gay-Pride-Parade fungieren. Da diese jedoch nicht sonderlich begeistert von diesem Plan sind, macht Limun sich zusammen mit Mirkos Freund Radmilo (Milos Samolov) auf, um alte Freunde, Gangster und Kriegsverbrecher für den Job zu gewinnen...

    „Parada" ist eine Herausforderung aller Menschen, die sich für tolerant und aufgeschlossen halten: Nicht nur, dass der Protagonist ein prolliger Ex-Kriegsverbrecher aus dem Kosovo-Krieg ist und in anderen Filmen wohl eher als Bösewicht auftreten würden; auch der konfrontative und betont politisch unkorrekte Jargon der Figuren ist provokant. Hier ist kaum ein Satz zu hören, in dem Homosexuelle nicht als „Schwanzlutscher", „Tunten", „Schwuchteln", „Arschgeber" oder „Kranke" bezeichnet werden. Darüber hinaus veranstaltet Regisseur Dragojević ein regelrechtes Schaulaufen verweiblichter Klischee-Tunten und lesbischer Mannsweiber. Subtil geht anders – das gilt auch für den Humor. Fehlgeleiteter oder gar selbst homophober Klamauk ist „Parada" dennoch keineswegs. Vielmehr handelt es sich hier um kämpferisch-engagiertes Agitations-Kino im Gewand einer Kamikaze-Klamotte.

    Die Message lautet: „Wenn jemand seine Hand gegen dich erhebt, weil du schwul bist, dann sorge dafür, dass er seine Hand so schnell nicht wieder erhebt". Wie Rosa von Praunheim in seinem legendären Thesenfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" fordert auch Dragojević die Unterdrückten und Erniedrigten zur militanten Reaktion auf, selbst wenn dabei Feuer mit Feuer bekämpft werden muss. Ein Pazifist ist der Filmemacher sicher nicht – wohlbemerkt müssen Homosexuelle in Serbien, anders als in Westeuropa, ständig mit psychologischer und physischer Gewalt gegen sich rechnen. Unter solchen Umständen haben Leib und Leben Priorität, während Toleranz und Akzeptanz noch in weiter Ferne liegen.

    Das wird auch am serbischen „Beleidigungskanon" ersichtlich, der nicht umsonst im Text-Prolog angeführt wird. So gibt es für jede ethnische Gruppe ein eigenes Schimpfwort, das den anderen Gruppen vorbehalten ist. Geeint werden die verfeindeten Parteien nur in ihrem gemeinsamen Hassvokabular gegen homosexuelle Menschen. Gerade durch die Verdeutlichung derartiger Zusammenhänge ist „Parada" derweil auch das scharfzüngig formulierte Porträt eines unverändert vom Krieg traumatisierten Landes. Schon in abgründigen Genre-Produktionen wie „A Serbian Film" oder „The Life and Death of a Porno Gang" zeichnete sich ab, dass diese Umstände im jungen serbischen Kino zunehmend kompromisslos angeprangert werden. Dragojević schließt sich der Gesellschaftskritik an: Homophobe Rowdys terrorisieren Schwule und Lesben, neureiche Aufsteiger vertreiben die Armen aus ihren Elendsquartieren, die Polizei ist durch und durch korrupt.

    Wenn Limun ehemalige Kriegsgebiete besucht und dabei eine Truppe einstiger Freischärler und Söldner zusammentrommelt, schießt Dragojević obendrein noch einige Spitzen gegen die im Land stationierten US-Truppen ab. Sogar Nebenhandlungen um einen muslimischen Drogendealer, dessen beste Kunden ausgerechnet die US-Soldaten sind, und Limuns Sohn, mit dem der Antiheld einen repräsentativen Generationenkonflikt austrägt, bringt der mutige Filmemacher hier noch schlüssig unter. Es scheint, als würden schreckliche Zustände nach schrecklichen – vor allem schrecklich geschmacklosen – Filmen schreien: „Parada" ist vollgestopft mit politischen Anklagen und versetzt mit reichlich grenzüberschreitend-schwarzem Humor – und das ganz ohne das Gutmenschen-Pathos vieler westlicher Problemfilme.

    Fazit: „Parada" ist eine klamaukige Kampfansage gegen Intoleranz und Unterdrückung. Die Präsentation des schwierigen Stoffes wird kontrovers diskutiert werden – klar, deutlich und rechtschaffen zornig ist sie in jedem Fall.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top