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    Schoßgebete
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Schoßgebete
    Von Björn Becher

    Feuchtgebiete“ war einer der meistdiskutierten Filme des Jahres 2013. Die Adaption des Skandalromans von Charlotte Roche sorgte schon vor ihrer Premiere für so viele Schlagzeilen wie kaum ein anderes Werk. Wer die zahlreichen negativen Stimmen mitbekam und sich dann tatsächlich David Wnendts Film anschaute, wurde überrascht. Abseits der schwer verdaulichen und für manche unerträglichen Ekelszenen erzählt der Regisseur nämlich gemeinsam mit der hervorragenden Hauptdarstellerin Carla Juri vor allem die Geschichte eines verletzlichen Mädchens. Und dies ist die große Gemeinsamkeit zwischen ihrem Werk und der Verfilmung des zweiten Romans von Charlotte Roche: Auch „Schoßgebete“ von Regisseur Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“) und Erfolgsproduzent Oliver Berben („Die Päpstin“), der hier sein Debüt als Drehbuchautor gibt, lebt von einer vielschichtigen weiblichen Hauptfigur und ihrer herausragenden Darstellerin. Davon abgesehen ist dieses Charakterdrama aber ganz anders als „Feuchtgebiete“ und wird die Gemüter trotz zwei unverblümter Sex- und Puffszenen nicht annähernd so sehr erregen. Wortmann verzichtet auf grelle Effekte und setzt auf eine elegant-zurückhaltende Inszenierung, wobei es allerdings nicht immer gelingt, die auf zwei Zeiteneben erzählte Geschichte dramaturgisch wirkungsvoll zu verdichten und so fehlt dem Gegenwartsteil der Handlung ein wenig die klare Richtung.

    Elizabeth Kiehl (Lavinia Wilson) ist 33 Jahre alt und schwer neurotisch. Ihre Therapeutin Frau Drescher (Juliane Köhler) ist eine der wichtigsten Bezugspersonen in ihrem Leben und nur ihr kann sie gestehen, mit wie viel Angst sie durchs Leben geht. Ihr Zustand ist vor allem auf den Unfalltod ihrer drei Geschwister zurückzuführen, die ausgerechnet auf dem Weg zu Elizabeths geplanter Hochzeit mit ihrem damaligen Freund Stefan (Robert Gwisdek) verunglückten. Richtig abschalten kann sie inzwischen eigentlich nur noch beim Sex mit ihrem heutigen Ehemann Georg (Jürgen Vogel). Ansonsten kämpft sich Elizabeth mehr schlecht als recht durch ihren Alltag, zu dem dauernde Testamentsänderungen beim Notar genauso fest gehören wie ständige Therapiesitzungen, die Erziehung ihrer Tochter Liza (Pauletta Pollmann), der familieninterne Kampf für eine vegetarische Biokost-Ernährung und die gemeinsamen Bordellbesuche mit Georg.

    „Schoßgebete“ ist ein stark autobiografisch gefärbter Roman. Charlotte Roche verlor selbst ihre Brüder bei einem Autounfall direkt vor ihrer Hochzeit und lieferte sich anschließend eine Auseinandersetzung mit einer großen Boulevardzeitung, der sie vorwarf, sie nach dem tragischen Vorfall belästigt zu haben. Die Wut über das Erlebte ist in dem Buch deutlich spürbar und Wortmann bringt sie nun auch auf die Leinwand, am deutlichsten gleich zu Beginn, wenn Elizabeth in einer Traumsequenz schwerbewaffnet die Redaktionsräume der Film-Wiedergängerin jener Boulevardzeitung stürmt und Amok läuft. Auch im weiteren Verlauf des Films sorgt die angedeutete Konfrontation zwischen der trauernden Protagonistin und der sensationslüsternen Zeitung für besonders aufrüttelnde Szenen. Aber nicht nur in ihnen lässt uns die herausragende Hauptdarstellerin Lavinia Wilson („Tatort: Borowski und der Engel“) mit der traumatisierten Elizabeth leiden, die hier eben nicht als wohlsituierte Ehefrau mit Luxusproblemen erscheint, sondern als zerrissener Charakter, der es nur mit größter Mühe und mit einer gehörigen Portion Selbstironie schafft, sein Leben einigermaßen zu meistern.

    Bei der Besetzung haben Wortmann, Berben und ihr Team ohnehin ein glückliches Händchen bewiesen. So nimmt sich der sonst vor allem für extrovertiert-expressive Rollen bekannte Jürgen Vogel („Der freie Wille“), der hier mit ungewohntem Vollbart und Brille zu sehen ist, ungemein zurück und überlasst das Feld Lavinia Wilson, was perfekt zu Rolle und Film passt. Juliane Köhler („Zwei Leben“) dagegen hat als Therapeutin, die im ständigen Zwiegespräch mit ihrer Patientin steht, zwar einige deutlich eindringlichere Momente, aber wenn sie Elizabeth Kontra gibt, dann dient auch das hauptsächlich der Profilierung der Hauptfigur. Die ist als (bisweilen überflüssige) Off-Sprecherin sowie in fast jeder Szene dauerpräsent, was zuweilen schon fast zu viel des Guten ist. Aber so kann der Zuschauer dieser Elizabeth auch unglaublich nahe kommen, was Wortmann noch verstärkt, indem er immer wieder ihr Innenleben bebildert – vom schon beschriebenen Wunsch nach dem Amoklauf bis hin zu ihren ständigen Ängsten etwa vor dem Feuertod im Fahrstuhl oder dem Zusammenbruch des eigenen Hauses über ihrem Kopf.

    Trotz der originellen Albtraum-Szenen und einer exzellent geschnittenen, eleganten statt voyeuristischen Dreier-Sexszene ist Sönke Wortmanns Inszenierung nicht durchweg gelungen. Die vielen Rückblenden in die Zeiten des Unfalls werden durch die ausgebleichten Farben überdeutlich als „Vergangenheit“ markiert, was ihren dramatischen Effekt unnötig mindert, denn es geht letztlich doch gerade darum, dass die Erinnerungen für Elizabeth immer noch überaus lebendig sind und eben nicht verblasst. Auch der ausgedehnten Szene des letzten Zusammenseins von Elizabeth mit ihren Geschwistern, während der sie ihnen ihr Brautkleid präsentiert, fehlt in ihrer Klischeehaftigkeit bis hin zur Musikuntermalung die individuelle Note einer subjektiven Rückschau und bleibt so nicht nur emotional wirkungslos, sondern fühlt sich wie ein Fremdkörper an. Während die inszenatorischen Schwächen bei der Darstellung von Elizabeths Vergangenheit liegen, zeigen sich die Probleme beim Drehbuch bei der etwas holprigen Erzählung der Filmgegenwart. Die Handlung, die sich in der Buchvorlage über drei Tage und im Film nun über einen ungewissen Zeitraum erstreckt, ist eigentlich als wahlloser (Alltags-)Ausschnitt aus dem Leben der Hauptfigur angelegt. Auf die Kürze eines Kinofilms kondensiert erscheinen diese wenigen Tage nun plötzlich als eine besonders erkenntnisreiche Zeit für Elizabeth, aber zwischen für sich stehenden Einzelszenen und dem großen erzählerischen Selbstfindungsbogen findet Autor Berben nicht die richtige Balance.

    Fazit: Wie schon „Feuchtgebiete“ lebt auch die Verfilmung von Charlotte Roches zweitem Bestseller „Schoßgebete“ vor allem von einer herausragenden Hauptdarstellerin. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten: Wo „Feuchtgebiete“ stylish-schmerzhaft war, ist „Schoßgebete“ deutlich gesetzter und zugänglicher, damit aber auch weniger interessant.

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