Kaum eine Katastrophensequenz kommt ohne diesen Moment aus: Ein Betonbrocken löst sich aus einer Wand und schlägt direkt neben dem Protagonisten ein (beziehungsweise erschlägt ein paar Meter weiter eine weniger wichtige Figur). Im Erdbeben-Blockbuster „San Andreas“ gibt es etliche solche Augenblicke, nur sind es hier meist keine simplen Steinklumpen, sondern gleich komplette Wolkenkratzer, die die Stars Dwayne Johnson, Carla Gugino und Alexandra Daddario um Haaresbreite verpassen. Obwohl in „2012“ von Zerstörungs-Zampano Roland Emmerich der ganze Erdball von allen erdenklichen Naturkatastrophen überrollt wird, benötigt Brad Peyton („Die Reise zur geheimnisvollen Insel“) in „San Andreas“ nur ein (Weltrekord-)Erdbeben, um auf der Leinwand mindestens genauso viel Schutt und Asche zu produzieren. Doch selbst wenn im Finale weit mehr als die Hälfte von San Francisco zerstört wird, entfaltet sein Film über den schnellen CGI-Kick hinaus beim Publikum kaum eine Wirkung, denn die Figuren bleiben bis zum Schluss klischeehafte Abziehbilder und um die wahren Schrecken einer solchen Katastrophe wird ziemlich dreist herumgeschnitten.
Professor Lawrence Hayes (Paul Giamatti) und sein Forschungspartner Dr. Kim Park (Will Yun Lee) haben ein System entwickelt, mit dem sie Erdbeben zukünftig zuverlässiger vorhersagen wollen. Aber dann erhalten sie gleich bei ihrem ersten Testlauf beängstigende Ergebnisse – und tatsächlich beginnt nur wenige Minuten später die Erde so heftig zu beben, dass sogar ein gewaltiger Staudamm in sich zusammenbricht. Während sich der erfahrene Rettungspilot Ray (Dwayne Johnson) in Los Angeles bereit macht, um mit seiner Crew in das betroffene Gebiet zu fliegen, deuten die Ergebnisse weiterer Tests von Professor Hayes darauf hin, dass das Beben nur der Vorbote einer weit schlimmeren Katastrophe gewesen ist. Offenbar steht die etwa 1.100 Kilometer lange und Kalifornien praktisch in zwei Hälften teilende San-Andreas-Verwerfung so sehr unter Spannung, dass sie eines der schwersten jemals gemessenen Erdbeben auslösen könnte. Das Zentrum der prognostizierten Zerstörung: San Francisco…
In einem Kinozeitalter, in dem schon in Superheldenfilmen wie „The Avengers“ (New York) oder „Man of Steel“ (New York doubelt Metropolis) gefühlt halbe Städte dem Erdboden gleichgemacht werden, haben es ausgewiesene Katastrophenfilme natürlich immer schwerer, das allgemeine Blockbuster-Zerstörungsniveau noch zu toppen. Aber in dieser Hinsicht muss sich bei „San Andreas“ wirklich niemand Sorgen machen: Wenn Brad Peyton die CGI-Destruktionsmaschinerie erst einmal anschmeißt, dann bleibt an der halben Westküste praktisch kein Stein mehr auf dem anderen (und der Rest wird einfach von einem Tsunami weggeschwemmt). Die Animationskünstler haben dabei zwar überzeugende Arbeit geleistet, aber die intensiveren Sequenzen sind am Ende doch jene, in denen die Macher erkennbar auf handgemachte Effekte und reale Sets setzen (etwa die Unterwasserrettung im zigsten Stockwerk eines Hochhauses). Nur bleibt einem das Schicksal der Figuren, mit denen wir uns durch das Trümmerfeld San Francisco schlagen, leider ziemlich schnuppe: Die Konstellation Vater (Dwayne Johnson), Tochter (Alexandra Daddario), Bald-Ex-Frau (Carla Gugino) und neuer Lover (Ioan Gruffudd) ist nicht nur direkt aus „2012“ übernommen, sie verpufft auch ähnlich wirkungslos: Nicht nur glaubt man keine Sekunde, dass hier tatsächlich zwei Eltern um das Leben ihrer Tochter kämpfen, Johnson strahlt außer in der gelungenen Eröffnungssequenz auch kaum einmal seinen berühmten B-Movie-Charme aus.
Natürlich sind Katastrophen-Blockbuster in erster Linie Popcornkino, aber „San Andreas“ lässt sich sogar ruhigen Gewissens als Wohlfühl-Erdbebenfilm beschreiben: Während der Geschehnisse sterben realistisch gesehen Millionen von Menschen – aber Regisseur Brad Peyton scheint seinem Publikum unbedingt vermitteln zu wollen, dass das ja alles nur halb so schlimm sei. So handeln zum Beispiel die Nachrichtenberichte im Hintergrund meist von Hunderten Geretteten und niemals von Tausenden Toten, von denen insgesamt kaum etwas zu sehen ist. Spannung kommt so nur selten auf. Als Reaktion auf das verheerende Erdbeben in Nepal wurde die bereits angelaufene Marketingkampagne zu „San Andreas“ nachträglich angepasst. Besser hätten die Macher aber gleich auch noch einige besonders dummdreiste Szenen ganz herausgeschnitten. So steht da nun Dwayne Johnson pathetisch in die Ferne starrend vor einer riesigen wehenden US-Flagge und beantwortet die Frage „Und was jetzt?“ wie ein wahrhaft pragmatischer Patriot: „Jetzt bauen wir wieder auf.“ Zynischer geht’s eigentlich nicht, selbst wenn es nach dem ermüdenden CGI-Overkill so am Ende zumindest noch mal was zum Lachen gibt.
Fazit: Orgiastisches Zerstörungsspektakel, bei dem aber nur selten Spannung aufkommt.