„Tilt“, die filmische Aufarbeitung des rebellischen Widerstands junger Leute gegen die sozialistische Repression in Bulgarien, ist mit über 150.000 Zuschauern in seinem Heimatland beliebter als James Camerons „Avatar“ und der bis dato erfolgreichste bulgarische Film. Das Interesse an dem Wendedrama war so groß, dass mobile Leinwände genutzt wurden, um den Film auch in Städte ohne Kino zu bringen, die es in Bulgarien selbst bei Orten mit 40.000 oder 50.000 Einwohnern zuhauf gibt. Debütregisseur Viktor Chouchkov nutzt die historischen Umstände der Wendezeit als Kulisse für eine romantische Liebesgeschichte, bei der er allerdings Dramaturgie und Figuren vernachlässigt.
Bulgarien, 1989: Stash (Yavor Baharov) und seine Kumpel Gogo (Ovanes Torosyan) und Angel (Ivaylo Dragiev) sind ziemliche Draufgänger: Sie verdienen mit Pornovideos ein bisschen Geld auf dem Schwarzmarkt, flippern in ihrem Kellerversteck und fahren mit selbstgebauten Skateboards durch die Gegend. Stash ist in die hübsche Becky (Radina Kardjilova) verliebt, doch deren Vater Oberst Katev (Georgi Staykov) will die beiden auseinander bringen. Als sich die deutsch-deutsche Grenze öffnet, wollen die vier über die DDR in die BRD. Doch Katev vereitelt den Plan und holt Becky aus dem Zug. Stash droht er an, ihn umzubringen, sollte er je wieder nach Bulgarien zurückkehren. Einige Jahre später tut er es dennoch. Alles hat sich gewandelt: Einige alte Freunde arbeiten für Mafia-ähnliche Banden, der korrupte Katev ist reich geworden – doch Becky liebt ihn immer noch. Katev hat seine Drohung aber nicht vergessen und lässt Stash von finsteren Schlägern suchen.
In Viktor Chouchkovs Romantikdrama „Tilt“ vertreiben sich die Jungs die Zeit mit Flipperspielen und sparen auf ein eigenes Flipper-Café, das den Namen „Tilt“ tragen soll. Der Begriff „Tilt“ bezeichnet das Außerkraftsetzen sämtlicher Steuerungselemte beim Flipperspiel. Es tritt ein, wenn der Spieler den Automaten hochhebt oder an ihm rüttelt. Das Spiel ist dann in der Regel verloren. Die Analogie, die so hergestellt wird, ist offensichtlich: Bulgarien vor der Wende stagnierte, die Menschen waren nicht frei und hatten Angst vor den Geheimdiensten – ein „Tilt-Zustand“. Die politische Situation ist allerdings nur der Hintergrund für eine sehnsuchtsvolle Liebesgeschichte, die im gelungenen ersten Drittel in Musik untermalten Sequenzen romantisch inszeniert wird. Die bewegte Historie bleibt dagegen der dekorative Retro-Hintergrund. Dabei bebildert Regisseur Viktor Chouchkov gerade diese zeitgeschichtliche Verortung mit sehenswerten Einstelllungen: So lässt er zu Beginn auf packende Weise die Kamera ganz dicht über einem alten Flippertisch kreisen.
Die Protagonisten werden authentisch eingeführt: Stash und seine Freunde lavieren reizvoll zwischen Langeweile, Abenteuerlust und der Angst vor dem Entdeckt werden. Die bei uns weitestgehend unbekannten Darsteller – allen voran Yavor Baharov („Double Identity - Zur falschen Zeit am falschen Ort“) als Stash mit seinem ausdrucksstarken Gesicht – übertragen die zeitweise übermütige Stimmung der subversiven Skater gut. Drehbuch- und in der deutschen Synchronisation Dialogschwächen stehen dem aber entgegen. Warum die Liebe zwischen Stash und Becky vom Vater so verbissen verhindert wird, bleibt so unklar, die bloße Behauptung muss als Grundlage für die weiteren, bisweilen willkürlich aneinandergereihten Geschehnisse ausreichen. Wenn die Handlung dann später in einer namenlosen deutschen Kleinstadt spielt, tritt die eigentlich überzeugende Romantikgeschichte noch stärker hinter einer Reihung von Klischees über osteuropäische Gastarbeiter zurück. Da werden die Abende monoton vor der Glotze verbracht während sich Leergut und Fast-Food-Verpackungen stapeln. Nur Stash blickt verträumt ins Leere und wartet auch nach zwei Jahren auf eine Antwort von Becky. Warum ausgerechnet er anders tickt als die anderen, bleibt im Dunkeln.
Fazit: „Tilt“ ist weniger ein Film über die Wendezeit in Bulgarien als eine romantische Liebesgeschichte, die zahlreiche Nebenfiguren auf- und wieder abtreten lässt, ohne ihnen überzeugenden Sinn oder Motivation zu geben. Den Geist der Zeit lassen vor allem die starken Anfangsszenen erahnen, das Ende bedient allzu viele Klischees.