Aus diesem Dilemma scheint es keinen Ausweg zu geben: Jeder Antikriegsfilm ist durch seine Beschaffenheit als inszeniertes Kunstwerk automatisch auch eine Ästhetisierung des Krieges. Spektakuläre Kriegsaction bringt in Wallung, existenzieller Horror wird zum Spektakel. Die Tragik jedes einzelnen Todes kann dabei leicht aus dem Blickfeld geraten, wenn Menschen in Heeren zur anonymen Masse verschmelzen. Auch ein „Der Soldat James Ryan" verkommt trotz schockierender D-Day-Bilder durchaus zu einer aufpeitschenden Splattershow, die nicht zuletzt auch durch ihre inszenatorische Wucht beeindruckt. Und von den teutonisch tönenden Hubschrauberangriffen aus „Apocalypse Now" braucht man gar nicht erst anzufangen. Wie also kann man den Schrecken des Krieges möglichst intim bebildern, ohne ihn im Moment des Spektakulären zu verwässern, der nun mal wesentlicher Aspekt des Kinos ist? Der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa findet mit dem Drama „Im Nebel", seinem Wettbewerbsbeitrag in Cannes 2012, einen interessanten Ansatz, diesem Problem zu begegnen. Er erzählt eine kleine, private und angenehm unspektakuläre Geschichte, um darüber vom Krieg als einer existenziellen Krise zu berichten, in der die Menschen sukzessive zerstört werden – ihre Seelen zuerst, ihr Leben zuletzt.
Die Westfront der Sowjetunion, 1942: Die deutschen Besatzer verbreiten Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung und auch die Partisanen, die den Nazis aus den Wäldern heraus trotzen, haben längst alle Skrupel verloren und terrorisieren jeden, der in den Verdacht gerät, mit den Deutschen zu sympathisieren. Das muss auch der unbedarfte Bahnarbeiter Sushenya (Vladimir Svirskiy) am eigenen Leib erfahren. Eine Verkettung schlimmer Zufälle führt dazu, dass er von der NS-treuen Polizei der Randbezirke verhaftet und gefoltert wird. Da die Besatzer ihn aber nicht wie drei andere Gefangene erhängen, hält die Dorfgemeinschaft den armen Kerl nun für einen Verräter. Und so bekommt er bald Besuch von den Partisanen Burov (Vladislav Abashin) und Voitik (Sergeï Kolesov), die ihn dem Schoß seiner Familie entreißen, um ihn vor einem nächtlichen Standgericht hinzurichten. Sushenya folgt ihnen ohne Widerrede – doch das ist erst der Beginn einer Odyssee, an deren Ende ein alles verschlingender Nebel wartet...
„Im Nebel" zeichnet sich durch eine ausgesprochen differenzierte Erzählweise aus – das wird besonders daran ersichtlich, dass kaum klassische Nazi-Feindbilder bedient werden. Im Stechschritt marschierende Schergen gibt es hier keine, die Okkupation wird vielmehr wie eine Gegebenheit von höherer Instanz dargestellt. Die Deutschen sind Platzhalter für den Terror schlechthin, so dass sie noch nicht einmal mehr selbst in Erscheinung treten müssen. Stattdessen zeigt Loznitsa hauptsächlich Russen, die sich gegenseitig des Verrats bezichtigen, sich belauern – und sich umbringen. Der Krieg der Schlachten und Schauwerte findet anderswo statt. In „Im Nebel" ist der Krieg vielmehr die Theaterbühne, auf der eine sehr persönliche Tragödie aufgeführt wird. Die drei zentralen Figuren sind darin archetypisch, aber prägnant gezeichnet.
Sushenya ist der unpolitische Naivling, der – wie man in wohlüberlegten und sauber platzierten Rückblenden erfährt – versucht, sich aus den Konflikten herauszuhalten und dafür, quasi als göttliche Bestrafung, in einen kafkaesken Strudel aus Gewalt von allen Seiten gezogen wird. Ein Rückzug ins Private ist ihm vor dem Hintergrund des omnipräsenten Krieges nicht mehr vergönnt. Übrig bleiben pure Verzweiflung und das Wissen darum, dass es für ihn kein Morgen geben wird. Partisan Burov dagegen hat sich gegen Besatzer und russische Opportunisten gleichermaßen gestellt, muss im Untergrund jedoch schnell erfahren, dass der Krieg kein Schwarz und Weiß kennt und zwangsläufig in die moralische Grauzone führt. Der dritte im Bunde ist Voitik, ein gänzlich unpolitischer Waldschrat, der nur zufällig zum Späher wurde und letztendlich ins Fadenkreuz aller Parteien gerät.
Die Persönlichkeiten dieser Männer werden immer weiter verzerrt, ehe „Helden" zu Gespenstern verfallen sind, die durch einen kalten grün-grauen Wald marschieren und genau wissen, dass sie aus diesem Dickicht, aus diesem traurig schönen Panorama russischer Wälder und Hügelketten, nicht mehr nach Hause finden werden. Über weite Passagen ist „Im Nebel" weniger Kriegsfilm als vielmehr eine existenzialistische filmische Wanderung in Zeiten des Krieges. Die entbehrungsreichen und gefährlichen Pirschgänge durch die Wälder sind auch eine Reise ins „Herz der Finsternis", doch vor allem macht Regisseur Loznitsa klar, dass der Alltag des Krieges vor allem von angespannter Langeweile geprägt ist, die wie ein gewittriger Horizont immer wieder von Blitzen des Todes durchzuckt wird. Wenn die Wanderer schließlich vom Nebel verschluckt werden, ist dies zwar kein besonders subtiles Sinnbild für das Seelensterben im Krieg, sehr wohl aber ein konsequentes Ende für einen Film mit so bestechend klarer Philosophie und Inszenierung.
Fazit: Sergei Loznitsas Kriegsdrama „Im Nebel" ist eine nachdenklich stimmende Antithese zu groß angelegten Schlachtenepen – beklemmend, substantiell und im besten Wortsinne seriös, kurz: absolut sehenswert.