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    Sommer auf dem Land
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sommer auf dem Land
    Von Christian Horn

    Nicht alle Eindeutschungen sind blöd: Der Titel „Sommer auf dem Land" trifft den Ton und die Farbe der polnischen Tragikomödie von Regisseur Radek Wegrzyn äußerst treffend. In Verbindung mit dem ebenso aussagekräftigen Originaltitel „Swieta krowa" („Heilige Kuh") ergibt sich ein präzises Bild des Films: Zwischen sommerlichen Landschaften und schrulligen Bauern irritiert eine „heilige" Kuh, die hier gleichermaßen für hinduistische Konzepte und im polnischen Kontext ebenso für katholische Religiösität steht. Aus diesen Zutaten bastelt Radek Wegrzyn einen eingängigen Sommerfilm, mit dem er eine fein austarierte Balance zwischen Tragik und Komik hält. Dennoch überzeugt das Erstlingswerk nicht auf ganzer Linie, dafür ist die Umsetzung phasenweise einfach viel zu konventionell.

    Seit dem Tod seiner geliebten Frau Izabela (Lucyna Malec) findet Bogdan (Zbigniew Zamachowski) keinen Seelenfrieden mehr. So verweilt der Konzertpianist lieber auf dem kleinen Bauernhof seiner Mutter (Elzbieta Karkoszka), als weitere Konzerte in den Metropolen dieser Welt zu geben. Beim Melken der Kühe fällt ihm auf, dass die Milch einer bestimmten Kuh besonders gut schmeckt und das Tier obendrein auffällig sensibel auf Musik reagiert. Schnell steht für Bogdan fest, dass es sich hier um eine Reinkarnation seiner verstorbenen Liebe halten muss. Dass die streng katholische Mutter die fixe Idee ihres Sohnes nicht gutheißt und den ortsansässigen Priester um Hilfe bittet, dass Bogdans ebenfalls als Sängerin bekannte Tochter Anna (Agata Buzek) zu Besuch kommt, dass der kauzige Anwohner Pawel (Antoni Pawlicki) schon seit jeher auf Anna steht – all das trägt erst recht zur großen Verwirrung bei...

    Der polnische Ausspruch „Swieta krowa" heißt nicht einfach nur „Heilige Kuh", er hat verschiedene Bedeutungen. Zum einen ist der Begriff eine Metapher für eine Person, die sich selbst als nicht kritisierbar darstellt oder anderen so erscheint. Außerdem nennen die Polen so jemanden, der „mitten auf einer Straße stehen bleibt, auch wenn Autos kommen", einen Mensch also, der sich keinerlei Sorgen macht oder für seinen „Standpunkt" sterben würde. Mit „Swieta krowa" lässt sich aber ebenso eine Person bezeichnen, die unabsichtlich gegen die Norm handelt, weil sie eine Situation falsch einschätzt. All diese Sinngehalte schwingen in der Filmerzählung mit: Bogdan weicht auch gegen Widerstände nicht von seiner Überzeugung ab. Bis zuletzt wird dabei in der Schwebe gehalten, ob er nun „im Recht" ist. So eindeutig verrückt wie Ryan Gosling in der lose vergleichbaren Indie-Komödie „Lars und die Frauen" ist der trauernde Kerl nämlich keineswegs.

    Leider inszeniert Regisseur Wegrzyn seinen Debütfilm streng nach Lehrbuch. So läuft der Film anfänglich Gefahr, in klischeehafter Gefühlsduselei zu versanden. Überbelichtete Erinnerungsimpressionen und ein überzeichnetes Sittenbild der Landidylle treffen auf Leitmotive wie Verlust und Traum, wahre Liebe und Glauben – aufgrund der Profession der Hauptfigur ertönt bei alldem selbstverständlich auch viel bedeutungsschwangere Musik. Als dann die sonderbare Kuh als unerhörtes Ereignis in die Handlung bricht, folgt aber Besserung: Gekonnt säht der Regisseur Zweifel darüber, was nun von Bogdans „Entdeckung" zu halten ist – genau wie Bogdans Umfeld muss sich auch das Publikum selbst einen Reim auf dessen Verkündung machen: Metaphysische Wahrheit, Glaubenssache oder doch bloß wirre Behauptung?

    Der erste gesprochene Satz des Films ist so auch ein laut vernehmlicher Appell in Richtung Kinosaal: „Öffne Deine Augen." Immer wieder lenkt der Regisseur das Augenmerk auf Details und verweist mehrfach darauf, dass beide Möglichkeiten im Bereich des Möglichen liegen, etwa in einem Dialog zwischen Mutter und Sohn: „Hast du den Verstand verloren?" – „Ich glaube, ich habe meinen Glauben gefunden." Auch sonst ist hier immer etwas los. Mit Bogdans Tochter führt Wegrzyn auf halber Strecke etwa eine zweite Hauptfigur ein, die nochmals Schwung in die Handlung bringt und die Tragikomödie zu einer abwechslungsreichen Vater-Tochter-Geschichte zuspitzt. Passend mündet „Sommer auf dem Land" in einem schicken Familien-Schlussbild, das eine der Titelbedeutungen ganz und gar wörtlich nimmt.

    Fazit: „Sommer auf dem Land" ist eine kurzweilige und differenziert erzählte Tragikomödie, deren staubige Inszenierung bei all den inhaltlichen Qualitäten nicht sonderlich schwer ins Gewicht fällt.

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