„No Future" war das denkbar einfache Lebensmotto der Punkbewegung. Frustriert von den verlorenen Träumen der 68er und dem Selbstbetrug seiner Akteure, schworen die Punks dem bürgerlichen Denken ab und praktizierten eine Ästhetik des Hässlichen, mit der man sich nachdrücklich vom Konsens abheben wollte. Die Zukunft, auf die sie nicht gebaut und die sie nicht erwartet haben, sollte sie jedoch einholen. In Andrea Blaugrund Nevins' Dokumentation „The Other F Word" dreht sich alles um Punks, die zu Vätern geworden sind und nun versuchen, ihren Kindern genau das nahezubringen, was sie jahrelang ablehnten: Verantwortung, Respekt und andere bürgerliche Werte. Obwohl es ein großes Vergnügen ist, den ergrauten Punkrecken bei der Herausforderung „Normalität" zuzusehen, hätte ein wenig mehr Tiefgang nicht geschadet.
Gegen Ende der 70er Jahre erreichte der Punk, der von England aus seinen Siegeszug um die Welt antrat, auch die Westküste der USA, wo eine florierende Subkultur entstand. Zwischen Halfpipes und Konzerthallen, in denen Bands wie „Blag Flag", „Pennywise" oder „NOFX" ihrer Wut lautstark Luft machten, blühte der Westküsten-Punk. Man genoss den Moment – nach den Regeln der anderen zu leben oder gar die Zukunft zu planen war nicht vorgesehen. Doch manchmal kommt es anders als man denkt: zum Beispiel in Form von Kindern. Wie lebt es sich nun als Punk-Vater, der seine Sprösslinge jene Werte lehren will, die er selbst einst missbilligte? Von diesen alternden Nonkonformisten, die durch die Augen ihrer Kinder sich selbst und die Gesellschaft neu erkunden müssen, erzählt Andrea Blaugrund in ihrer Dokumentation.
Die Regisseurin konzentriert sich ausschließlich auf Akteure aus Kalifornien, deren Westküsten-Punkrock nur bedingt mit dem englischen Original vergleichbar ist. Mit dem Strand, der sehr präsenten Surferszene und den Späthippies vor der Tür war die Ausgangssituation in Kalifornien eine ganz andere als im regnerischen England, wo die Eiserne Lady Margaret Thatcher 1979 die Regierung übernahm und wo der Ton viel rauer war. Im Kern jedoch folgten Punks in aller Welt der gleichen Ideologie. Das „F-Word" der Bewegung ist natürlich „Fuck", was für eine aufmüpfig-obszöne Kampfansage an das Establishment steht – doch war es in Kalifornien eher eine selbstbewusste und lebensbejahende Abkehr und nicht der sich selbst und die Welt verachtende Aufschrei nackter Verachtung wie anderswo. In „The Other F Word" steht das F nun für „Father", „Family" und „Future". Da besonders letzteres im krassen Gegensatz zu den Ursprüngen der Bewegung steht und die beiden ersten Begriffe für ein Maß an Verantwortung, Sesshaftigkeit und Berechenbarkeit stehen, das der Punkbewegung nicht ferner sein könnte, führte die Geburt von Kindern oft zu einschneidenden Veränderungen im Leben und Verhalten der Beteiligten.
„The Other F Word" ist stets unterhaltsam, schnell geschnitten und mit einem fetzigen Soundtrack untermalt. Manches Mal fühlt sich der Film jedoch wie eine etwas zahme Selbstbespiegelung alter Punk-Recken an, die voller Sehnsucht auf ihre wilde Jugend zurückblicken, das alte (und neue) Spießertum anprangern und heute eine sehr viel entspanntere Einstellung zum Leben und zu ihrer Zukunft haben als früher. Ihren Kindern, das machen sie deutlich, wollen sie nicht rigoros ihren Lebensstil aufdrängen und ihnen eine bessere Erziehung angedeihen lassen als jene, die sie von ihren Eltern erhalten haben. Das ist zumeist sympathisch, wie in jenen Momenten, in denen Mark Hoppus (Blink 182) erklärt, dass die Erwartungen an seine erzieherischen Qualitäten so gering waren, dass es ein leichtes war, sie zu übertreffen. Wenn der Red-Hot-Chili-Peppers-Derwisch Flea mit seiner Tochter müßige Stunden am Klavier verbringt, Black-Flag-Schreihals Ron Reyes mit seinen Kindern durch alte Punk-Plattenläden schleicht und ihnen den Kanon der Punk-Musik nahebringt oder Jim Lindberg von Pennywise sich über den immer gleichen Touralltag und die Sehnsucht nach seiner Familie auslässt, wirkt das jedoch bisweilen etwas banal. Punker sind also auch nur Menschen. Wer hätte das gedacht?
Die letztliche Normalität der etwas anderen Väter bestätigen auch die lächelnd-properen Kinder, die ihren Eltern gute Erzieher-Zeugnisse ausstellen, auch wenn ihre Daddys natürlich etwas anders aussehen als die ihrer Freunde. Wirklich in die Tiefe geht das Porträt wackerer Senioren-Punks, die im fortgeschrittenen Alter den üblichen Weg vom Saulus zum Paulus machen, dabei nicht. Wenn man sieht, wie sie in Schlappen und Punk-Shirts durch die großen Einbauküchen ihrer Häuser schlurfen, sich selbst Kaffee und ihren Kindern Sandwiches machen, sind sie abgesehen von Tattoos und Körperschmuck kaum noch von anderen Spießern zu unterscheiden. Am Ende ist „The Other F Word" eine sehr unterhaltsame, wenn auch etwas oberflächliche Dokumentation, in der den alten Punk-Recken etwas zu viel Raum zur Selbstdarstellung gelassen wird und die Fragen dort aufhören, wo es wirklich interessant und spannend geworden wäre.
Fazit: „The Other F Word" ist eine kurzweilige Dokumentation über ergraute Punks und ihr Verhältnis zu Vaterpflichten und Verantwortung. Die alten Recken bekommen dabei viel Raum, um ihren Charme spielen zu lassen, die ein oder andere unbequeme Frage hätte dem Film dabei durchaus gut getan.