Wer kann sich noch aus eigener Anschauung an die Mauer und die Teilung Berlins erinnern? Viele kennen Fakten und Daten, aber nicht die Auswirkungen auf den Alltag und das Lebensgefühl in einer geteilten Stadt. Läuft man heute durch Berlin, fällt es angesichts all der Sanierungen und Neubebauungen schwer, sich vorzustellen wie das war, als eine kaum überwindbare Mauer quer durch die Stadt ging. Claus Oppermann und Gerald Grote haben Filmmaterial von Amateurfilmern gesichtet und mit den historischen Fakten kombiniert. Entstanden ist die bilderreiche Dokumentation „Bis an die Grenze", die allerdings keine persönlichen Geschichten oder neuen Blickwinkel auf die Ereignisse eröffnet.
Der Film beginnt mit einem Ende – dem des Zweiten Weltkriegs: Zerstörte Städte, fehlende Infrastruktur und Menschen, die den Wiederaufbau beginnen. Als sogenannte „Talking Heads", also erzählende Menschen vor der Kamera, werden einige der Personen vorgestellt, die das Filmmaterial bereitstellten. Sie kommentieren ihre Aufnahmen und schildern, wie sie selbst die Zeit erlebten. Der Aufbau des Films ist im Folgenden weitgehend an der Historie orientiert: Kalter Krieg, Berlin-Blockade und Luftbrücke, Tag des Mauerbaus, Fluchtgeschichten, Passierscheinregelung, Sprengung der Versöhnungskirche, Mauertote. Am Ende des Films steht auch das Ende der geteilten Stadt: Der Fall der Mauer.
Wenn im Abspann die Namen der Amateurfilmer durchlaufen, ahnt man, welchen Fundus die Regisseure Oppermann und Grote mit den 50 Stunden privater Schmalfilme in ihren Händen hatten. Besonders spannend wird es immer dann, wenn von persönlichen Erlebnissen berichtet wird. Ilse Koch etwa war wenige Tage nach dem Mauerbau in der Bernauer Straße („Da habe ich noch nicht gefilmt."), wo die Wohnhäuser direkt auf der Grenzlinie standen. Wer noch vor dem Zumauern der Fenster flüchten wollte, schmiss Zettel mit der Ankündigung auf die Westseite, damit nachts die Feuerwehr kommen konnte – mit dem Sprungtuch. Sogar der damalige Grenzsoldat Peter Guba nahm einfach seine Kamera mit in den Dienst und durfte ungehindert filmen, seien es die Kameraden bei Übungen mit Gasmasken im Kasernenhof oder die Kollegen, die aus Neugier einen amerikanischen Schlitten beim Grenzübertritt besonders in Augenschein nehmen. Offensichtlich von einer Familie wurde ein ganzer kleiner Film gedreht, mit selbst gemalten Zwischentiteln: „Kleine Omi kommt nach West-Berlin". Man sieht die Begrüßung, das kleine Enkelkind und eine Kaffeerunde mit Sekt.
Doch konnten sich die Filmemacher offensichtlich nicht entscheiden, welche Form ihr Film als Ganzes haben soll. Den im Untertitel angekündigten „privaten Blick auf die Mauer" erfüllen sie nur bedingt. Zu sehr steht die große politische Entwicklung im Mittelpunkt, zu sehr lässt der Sprecher mit seiner auf Dramatik bedachten Stimme die Dokumentation wie einen Lehrfilm aus dem Geschichtsunterricht der 60er Jahre klingen. Metaphern im Stil von „erste Schritte durch eine politische und geografische Schuttlandschaft" wirken unnötig, Bild und Text doppeln sich allzu oft. Zusätzlich wird durch die Musik vordergründige Dramatik erzeugt, als würden die Filmemacher nicht auf die Bilder und ihre durchgehend sympathischen Protagonisten vertrauen. Vor allem aber stellt sich bei vielen Bildern die Frage: Was ist hier das Neue? Durch zahlreiche TV-Dokumentationen sind die Bilder vom Mauerbau, winkenden oder flüchtenden Menschen längst Teil des kollektiven Bewusstseins geworden. Ein Fokus auf das persönliche Erleben hätte das Gefühl für die Absurdität einer Mauer mitten durch eine Großstadt viel eher belebt als dieser Abriss der Geschichte.
Fazit: „Bis an die Grenze" ist eine unentschlossene und letztlich enttäuschende Dokumentation über ein schon lange intensiv beleuchtetes Thema, dem trotz vieler interessanter Amateuraufnahmen keine neue Facette hinzugesetzt werden kann.