Siebzehn Jahre lang regierte der 2006 verstorbene Diktator Augusto Pinochet in Chile ohne demokratische Legitimation. 1973 durch einen von den USA geförderten Militärputsch an die Macht gekommen, sorgte Pinochet während seiner Amtszeit mit Menschenrechtsverletzungen, Folter und Ermordung von Regimekritikern für weltweite Empörung. Schließlich gab der Diktator, der von Teilen der chilenischen Bevölkerung geliebt und für seine wirtschaftsliberalen Strukturreformen respektiert wurde, dem Druck nach und akzeptierte das Ergebnis eines Volksentscheids von 1988, bei dem über freie Präsidentschaftswahlen abgestimmt wurde. Dem Referendum ging eine mediale Wahlkampfschlacht voran, die der chilenische Filmemacher Pablo Larraín in seinem sehenswerten Politdrama „No" humorvoll beleuchtet. Dabei wagt der Regisseur ein interessantes Experiment: Er passt den Look seines Films, der für Chile ins Rennen um den Oscar für den Besten nicht-englischsprachigen Film 2012 geschickt wurde, den späten 80er Jahren an und verwebt Originalvideomaterial und Fiktion zu einem stimmigen Gesamtergebnis.
Chile, 1988: Nach fünfzehn Jahren Militärdiktatur steht das chilenische Volk vor der Entscheidung, ob es weiterhin von dem skrupellosen Machthaber Augusto Pinochet oder von einem demokratisch gewählten Präsidenten regiert werden möchte. Beim anstehenden Volksentscheid steht das „Si" für die Beibehaltung der Militärdiktatur, „No" steht für freie Wahlen. Im Rahmen des Wahlkampfs gestattet Pinochet den „No"-Aktivisten, einen Monat lang einmal täglich einen fünfzehnminütigen TV-Spot im staatlichen Fernsehen zu senden. Die Aktivisten sehen nur geringe Erfolgsaussichten und wenden sich daher an den erfolgreichen Werbeprofi René Saavedra (Gael García Bernal). Der produziert zwar gerade einen Spot für ein Colagetränk, übernimmt nach anfänglichem Zögern aber dennoch den Job. Schon bald muss René feststellen, dass er sich für die Kampagne etwas Besonderes einfallen lassen muss und dass das gegnerische Lager ihn mit allen Mitteln bekämpft...
Man muss kein ausgewiesener Politik- oder Geschichtsexperte sein, um sich in Larraíns Film, der bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Art Cinema Award ausgezeichnet wurde und auch auf der Viennale 2012 zu sehen war, zurechtzufinden: Schon in den Anfangstiteln nimmt der chilenische Filmemacher – der mit „No" seine mit „Post Mortem" und „Tony Manero" begonnene Trilogie über die Pinochet-Ära abschließt – den weniger informierten Zuschauer an die Hand und liefert im Schnelldurchlauf Fakten zu Pinochets Militärdiktatur. Wenig später präsentieren René und sein Team dann im ersten von insgesamt 28 TV-Beiträgen erschreckende Zahlen zu den Menschenrechtsverletzungen des Diktators. Dieser Kampagnenauftakt bleibt aber der einzig wirklich ernste TV-Spot, den die „No"-Aktivisten im staatlichen Fernsehen ausstrahlen lassen: Aus Angst vor Repressionen und Zensur durch die Machthaber versuchen René und seine sympathische Truppe stattdessen, das Volk mit herrlich trashigen, humorvoll aufbereiteten Low-Budget-Clips zur Wahl zu bewegen. Diesen Video-Look greift Larraín auch bei seiner Inszenierung gekonnt auf.
Die „No"-Aktivisten füllen das kleine Zeitfenster von jeweils fünfzehn Minuten mit schrägen Ideen am Fließband, um Tag für Tag einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Neben von René instruierten Oppositionspolitikern und dem einfachen Mann von der Straße kommen dabei unter anderem auch die Hollywoodlegenden Christopher Reeve („Superman"), Jane Fonda („Klute") und Richard Dreyfuss („Unheimliche Begegnung der dritten Art") zu Wort. Schnell entwickelt sich ein amüsanter Wettstreit um die Gunst der Wähler, da die „Si"-Fraktion keineswegs schläft und mit nicht minder ausgefallenen TV-Beiträgen zurückschlägt. Beide Lager wechseln permanent ihre Strategien, überbieten sich gegenseitig mit absurden Einfällen und landen dabei mitunter kolossale Fehlschläge. Leider strapaziert Drehbuchautor Pedro Peirano („La Nana - Die Perle") dabei einige Running Gags – etwa einen Pantomimen, der nach einem Auftritt im von René produzierten Cola-Werbespot wie von Geisterhand auch den Weg in die TV-Beiträge der „No"-Kampagne findet – etwas über Gebühr.
Deutlich witziger gestalten sich Renés Probleme bei Außendrehs, die an Gael García Bernals Rolle als von seinem Hauptdarsteller gebeutelter Filmregisseur in Icíar Bollaíns „Und dann der Regen" erinnern. Trotz der humorvollen Grundausrichtung verliert Larraín den ernsten historischen Hintergrund seiner Geschichte aber keineswegs aus den Augen: Schon bald gerät René als Hauptverantwortlicher für die kritischen TV-Beiträge in Bedrängnis, weil das im eigenen Staatsfernsehen angefeindete Regime sich über die Spielregeln hinwegsetzt und ohne Vorwarnung zurückschlägt. Auf beleidigende Graffiti-Schmierereien an Renés Terrassentür folgen nächtlichen Anrufen, mit denen seine Frau und er terrorisiert werden. Angesichts dieser persönlichen Dimension bleibt „No" bis zum Ende spannend: Denn auch wenn das Ergebnis der Volksabstimmung und die spätere Entmachtung Pinochets gewiss ist: Das Schicksal Renés und seiner Familie bleibt bis zum Ende offen.
Fazit: Pablo Larraín inszeniert mit „No" ein sehenswertes, überraschend humorvolles Politdrama, das die Ereignisse im Chile der ausgehenden 80er Jahre authentisch nachzeichnet und die kleineren Drehbuchschwächen mit sympathischen Charakteren, einer überzeugenden Videoästhetik und vielen unverbrauchten Einfällen wieder wettmacht.