Der junge britische Regisseur Paul Andrew Williams sorgte bislang vor allem als versierter Macher düsterer Thriller für Aufsehen: Bereits sein Spielfilmdebüt „London to Brighton" von 2006 wurde von der britischen Tageszeitung The Guardian als bester Film des Jahres betitelt. Williams ist also nicht unbedingt der Filmemacher, von dem man ein Comedy-Drama um eine in einem Chor singende krebskranke Seniorin erwarten würde. Wie bei seinen drei vorherigen Filmen hat Williams auch bei seinem neuesten Werk nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch verfasst. Im Vergleich zu seinen Thrillern ist die Story von „Song for Marion" zwar nicht besonders originell ausgefallen, trotzdem ist dem Regisseur ein berührender Film geglückt, vor allem weil er sich aufrichtig für seine Figuren interessiert und seiner britischen Edel-Besetzung dementsprechend glänzende Schauspielleistungen entlockt.
Marion (Vanessa Redgrave) und ihr Mann Arthur (Terence Stamp) sind ein ungleiches Rentnerpaar. Marion ist eine lebenslustige Großmutter, die in einem ungewöhnlichen lokalen Rentnerchor unter der Leitung der fröhlichen Elisabeth (Gemma Arterton) singt. Arthur hingegen ist ein Griesgram, der weder sich noch die Welt so Recht leiden kann. Dass seine Frau zusammen mit anderen Alten Rock- und Popsongs singt, findet er peinlich. Auch eine richtige Beziehung zu seinem Sohn James (Christopher Eccleston) hat der introvertierte Arthur nie aufbauen können. Und dann kommt die Hiobsbotschaft: Marion ist unheilbar an Krebs erkrankt und hat nur noch wenige Monate zu leben. Sie nimmt es mit Fassung, versucht die ihr noch verbleibende Zeit zu genießen und eine Aussöhnung zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn zu ermöglichen. Arthurs ohnehin bereits so traurige Welt dagegen bricht nach der Diagnose endgültig in sich zusammen...
Auf den ersten Blick wirkt „Song for Marion" wie ein rührseliges und arg vorhersehbares Feelgood-Movie – spätestens, wenn der Renterchor „Let´s talk about Sex" anstimmt, rückt dies den Film in eine unangenehme Nähe zu mittelprächtigen Hollywood-Dramödien. Über weite Strecken schafft es Williams dennoch, die Kitschklippen seines Stoffes zu umschiffen. Dazu tragen zum einen die zahlreichen authentischen und hinreißend knorrigen Protagonisten bei. Der Humor ist britisch trocken und mit spitzer Zunge vorgetragen. Als z.B. Arthur eines Tages Elisabeth fragt, ob er sich nicht wie ein Arschloch verhalte, bekommt er genau das von der Gesangslehrerin postwendend bestätigt – höflich aber bestimmt. Es sind immer wieder solche kleinen Abweichungen und Brüche, die „Song for Marion" über das Gros ähnlich gelagerter Filme erhebt. Immer wieder wirkt das Leindwandgeschehen hier tatsächlich wie aus dem Leben gegriffen.
Vanessa Redgrave („Anonymus") verkörpert die zwischen Lebensfreude und Todesangst pendelnde Großmutter mit der ihr eigenen Perfektion einer altehrwürdigen Theatergröße. Noch beeindruckender ist die Leistung von Terence Stamp („The Limey"): Sein Arthur ist ein wortkarger Mann, der weder zu sich noch zu seiner Umwelt eine aktive Beziehung hat. Sein Innenleben aber bleibt durch Stamps feine Nuancen in Mimik und Gestik stets transparent und greifbar. Die von Gemma Arterton gespielte Elisabeth bildet den idealen Gegenpol zu Arthur. Sie ist jung und strahlt nur so vor Mitgefühl und Vitalität. Und doch wird im Handlungsverlauf deutlich, dass auch sie unsichere und verletzliche Seiten hat, wodurch sie Arthur umso besser verstehen kann. Auch Christopher Eccleston („Doctor Who") ist als Arthurs Sohn, der seiner Tochter all die väterliche Liebe geben möchte, die er selbst nie erfahren hat, gewohnt stark. Das Ergebnis dieser darstellerischen Höchstleistungen ist ein wirklich bewegender Film, der sein Publikum gleichermaßen zum Lachen wie zum Weinen bringen kann.
Fazit: Thematisches Neuland erschließt Jungregisseur Paul Andrew Williams mit seiner immer wieder am Kitsch entlangtänzelnden Tragikomödie „Song for Marion" sicher nicht. Wenn Altbekanntes aber mit so wunderbar kauzigem britischen Humor, fein gezeichneten Figuren und großartig aufgelegten Schauspielern umgesetzt und dabei großes Gefühlskino mit Würde zelebriert wird, fällt die Schema-F-Prämisse kaum noch ins Gewicht.