Dass sich die „Frankenstein“-Story auch fast 200 Jahre nach dem Erscheinen des Romans von Mary Shelley und 85 Jahre nach der legendären Universal-Verfilmung mit Boris Karloff noch auf frische Weise erzählen lässt, haben Bernard Rose mit seiner tragisch-blutigen Indie-Version „Frankenstein - Das tödliche Experiment“ und John Logan mit einem genialen Handlungsstrang in seiner Gothic-Serie „Penny Dreadful“ erst 2015 wieder bewiesen. Auch Paul McGuigan setzt in seinem „Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn“ nun auf einen neuen Ansatz: Der „Lucky Number Slevin“-Regisseur rückt statt Dr. Frankenstein dessen Gehilfen Igor ins emotionale Zentrum der Geschichte und orientiert sich inszenatorisch an Guy Ritchies stylischem Historien-Actioner „Sherlock Holmes“. Allerdings geht dieses Konzept nur für eine gute halbe Stunde auf, anschließend entwickelt sich „Victor Frankenstein“ immer mehr zum beliebigen Krachbumm-Blockbuster und weckt schließlich unschöne Erinnerungen an einen weiteren großen „Frankenstein“-Flop: „I, Frankenstein“ mit Aaron Eckhart.
Ein namenloser Buckliger (Daniel Radcliffe) wird in einem Londoner Zirkus tagtäglich zur Belustigung des Publikums getreten und getriezt. Dabei ist der vermeintliche Freak in Wahrheit extrem intelligent und studiert sogar regelmäßig medizinische Lehrbücher. Als der ambitionierte Medizinstudent Victor Frankenstein (James McAvoy) mitbekommt, wie der Bucklige der gestürzten Trapezkünstlerin Lorelei (Jessica Brown Findlay) mit einer ungewöhnlichen Methode das Leben rettet, befreit er ihn aus einem Käfig, nimmt ihn bei sich auf und verpasst ihm den Namen seines seit einiger Zeit verschwundenen Mitbewohners Igor. Dank der außergewöhnlichen anatomischen Kenntnisse seines neuen Partners gelingen Victor schon bald große Fortschritte bei seinem Projekt, einen aus den Kadavern verschiedener Tierarten zusammengesetzten Körper mit der Hilfe von Elektrizität zum Leben zu erwecken…
Die ersten (Action-)Szenen im Zirkus stimmen mit ihren pompösen Kulissen und Kostümen noch zuversichtlich, obwohl die Zeitlupen und der assoziative Schnitt doch sehr stark an Guy Ritchies „Sherlock Holmes“-Filme erinnern. Immerhin dreht auch James McAvoy („X-Men: Apocalypse“) als megalomaner Wissenschaftler von Beginn an voll auf und beeindruckt besonders mit seinen wahnsinnigen Augen. Aber nach der Befreiung von Igor versandet die Handlung erschreckend schnell und Daniel Radcliffe („Harry Potter“) verliert mit seinem Buckel auch jegliche Ausstrahlung - die Liebesgeschichte zwischen dem nun buckellosen Igor und Lorelei bleibt völlig leidenschaftslos. Am besten sind noch die sehr rar gesäten Szenen, in denen Igor und Victor zusammen an ihrem Experiment arbeiten (für alle Details des Monster-Designs gibt es einen medizinischen Grund, nur auf den abgeflachten Schädel besteht Victor, weil es ihm einfach gut gefällt), aber es dominieren neben der unnötigen Lorelei-Liebelei oberflächliche Debatten über Wissenschaft und Ethik sowie ein überflüssiger Erzählstrang um Victors toten Bruder, mit dem der Wahn des Wissenschaftlers erklärt werden soll.
Abgesehen von der letztlich wenig ergiebigen Idee, Igor mehr ins Zentrum zu rücken, hat Paul McGuigan dem „Frankenstein“-Mythos nichts Neues hinzuzufügen. Stattdessen nutzt er die Story als losen Aufhänger für dreieinhalb (Steampunk-)Actionsequenzen: Die Jagd nach dem aus Affen, Löwen und weiteren toten Tieren zusammengesetzten Homunkulus macht zumindest ein wenig Spaß, weil das Design des von Victor auf den Namen „Gordon“ getauften Monsters mit seinem zur Hälfte offenliegenden Kiefer so wunderbar scheußlich geraten ist. Aber das war’s dann auch: Die Geschichte wird in der zweiten Filmhälfte immer wirrer, sodass es einen trotz toller Ausstattung und zumindest ordentlicher CGI-Effekte völlig kalt lässt, wenn nach fast 100 Minuten endlich Victors Kreation in einem zum Blitzfänger umfunktionierten schottischen Anwesen Amok läuft. Der gewaltige Stromschlag mag da ein zweieinhalb Meter großes Monster mit zwei Herzen und vier Lungen zum Leben erwecken, aber zum Publikum will da schon längst kein Funken mehr überspringen.
Fazit: „Victor Frankenstein“ punktet zwar mit seiner pompösen Steampunk-Ausstattung, entpuppt sich darüber hinaus aber als ziemlich lebloser Horror-Actioner.