Das Kino und die Malerei haben als visuelle Künste viele Gemeinsamkeiten. Und so liegt es nahe, dass Filmemacher nicht nur Stil und Stimmung der Meisterwerke der Malerei aufgreifen (wie in „Barry Lyndon"), sondern auch Geschichten von Malern und vom Malen erzählen (wie in „Die schöne Querulantin" oder „Der Kontrakt des Zeichners") - ganz zu schweigen von den Biopics über berühmte Künstler, deren Regisseure sich bisweilen auch an die Ausdrucksformen der Porträtierten annähern (wie in „Caravaggio"). Dem Reigen verschiedener Herangehensweisen fügt der polnische Regisseur Lech Majewski einen weiteren Ansatz hinzu: Sein experimenteller Dokumentarfilm „Die Mühle und das Kreuz" ist eine filmische Bildinterpretation des Renaissance-Gemäldes „Die Kreuztragung Christi" von Peter Bruegel. Dazu stellt Majewski einige der vielen Szenen des monumentalen Bildes sowie seinen Entstehungsprozess nach und greift ausführlich auf die umfassende Analyse des Kunstwissenschaftlers Michael Francis Gibson zurück. Das ist durchaus anstrengend anzuschauen, aber sehenswert ist das sperrige Filmessay für alle Kunstinteressierten allein schon deshalb, weil Lech Majewski die Beziehung zwischen Malerei und Kino auf neue Weise auslotet.
Der flämische Renaissance-Maler Peter Bruegel der Ältere hat sein berühmtes Ölgemälde „Die Kreuztragung Christi" im Jahr 1564 vollendet. Das Bild zeigt in der Mitte die titelgebende Kreuztragung Jesu und um diese Szene herum etliche Figuren bei verschiedenen, oft symbolischen Handlungen. Auffällig ist eine hoch auf einem Berg stehende Mühle sowie der von links nach rechts chronologische Aufbau des Bildes. Da Bruegel mit dem Werk die Gesellschaft seiner Gegenwart darstellen wollte, verortet er die Passionsgeschichte nicht in Jerusalem, sondern in seiner flämischen Heimat und zeigt mit Ausnahme von Jesus alle Personen in zeitgenössischer Kleidung. Für „Die Mühle und das Kreuz" greift Lech Majewski einige der Szenen des Bildes heraus, dazu porträtiert er den Maler selbst (gespielt von Rutger Hauer), der sein Werk in kleinen Spielszenen erläutert. Daneben erhalten auch Bruegels Auftraggeber Nicolaes Jonghelinck (Michael York), Bruegels Frau Marijken (Joanna Litwin) und nicht zuletzt die Jungfrau Maria (Charlotte Rampling) herausgehobene Rollen.
Lech Majewski nimmt Bruegels Gemälde zum Anlass für eine streng komponierte filmische Reflexion. Als Maler und Mit-Autor des Drehbuchs zu Julian Schnabels Künstlerporträt „Basquiat" sammelte der polnische Regisseur bereits einschlägige Erfahrungen und er erweist sich auch in „Die Mühle und das Kreuz" als ebenso passionierter wie kenntnisreicher Künstler und Kunstliebhaber. Er verzichtet in den sehr theaterhaften Szenen fast immer auf Kamerabewegungen und Dialog und meistens auch auf den Einsatz von Musik, die detailverliebt gestalteten Dekors wirken durch die sorgfältige Arbeit mit Licht und Schatten sowie die von Majewski selbst gemalten Hintergründe wie Tableaus. Die Interpretation des Bruegel-Gemäldes und die eigene künstlerische Auseinandersetzung mit ihm fallen hier zusammen. Dazu passt es, dass Rutger Hauer („Blade Runner") in der Rolle des Malers Erklärungsansätze in den Mund gelegt werden. So erläutert er den Aufbau des Gemäldes anhand einer Skizze und erklärt die zentrale Position der Mühle, die einer göttlichen Perspektive entspricht.
Majewskis Ansätze sind allesamt bedenkenswert, aber insgesamt fehlt dem Film gerade für Nicht-Experten ein wenig die Nachvollziehbarkeit. Nicht immer ist klar, worum es in einer bestimmten Szene gerade geht und in welchem Ausschnitt des Originalbildes sich die Figuren befinden. Aber der Verzicht des Filmemachers auf einen alleserklärenden Off-Kommentar hat auch deutliche Vorteile: So ist „Die Mühle und das Kreuz" nicht belehrend, sondern wird zu einem eigenständigen sinnlich-ästhetischen Erlebnis. Und das gelingt Majewski indem er zwischen klassischem Dokumentarfilm, Kunstperformance und -adaption, Interpretation, Hommage und Essay pendelt. Die Schauspieler treten dabei hinter den größeren Plan zurück: Weder Rutger Hauer noch Charlotte Rampling („Melancholia") sorgen hier für besondere Akzente – immer bleiben das Gemälde selbst und die Intentionen des Malers im Vordergrund.
Fazit: Im Museum of Modern Arts und auf der Biennale wurde bereits Videokunst von Regisseur Lech Majewski gezeigt. Seine filmische Bildinterpretation „Die Mühle und das Kreuz" ist im Grunde auch ein Fall fürs Museum: Als Kinounterhaltung im gewöhnlichen Sinn funktioniert der schwer zugängliche Film nämlich kaum. Vor allem für Kunstliebhaber und jene, die das Verhältnis des Kinos zu anderen Kunstformen interessiert, ist das Experiment dennoch empfehlenswert.