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    The Woman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Woman
    Von Stefan Geisler

    Die weitläufigen Wälder Amerikas beherbergen eine Vielzahl von Lebewesen. Neben Bibern, Rotluchsen und Braunbären soll dort der berüchtigte „Big Foot" sein Unwesen treiben und auch die sogenannten „Wolfskinder" haben dank Literatur und Film einen nicht unerheblichen Bekanntheitsgrad erreicht. Dabei bezeichnet der Begriff schlicht Menschenkinder, die isoliert aufwachsen mussten – was nicht zwangsläufig in der Wildnis, geschweige denn unter der Obhut eines Wolfsrudels zu geschehen hat. Dennoch sind es diese extremen Fälle, wie etwa das Schicksal der indischen Mädchen Kamala und Amala, die 1920 in einer Wolfshöhle gefunden wurden, die unser Bild von den unfreiwilligen Aussteigern prägen. Kein Wunder ist auch die Popkultur reich an Geschichten über die naturverbundenen Sonderlinge, man denke nur an Mowgli („Das Dschungelbuch") oder Tarzan. Auch in Lucky McKees („The Woods") „The Woman" dreht sich alles um ein solches Wolfskind. Anstatt aber den romantischen Mythos vom naturnahen Menschen weiter zu befeuern, entwirft der Filmemacher ein wahres Albtraumszenario, das dem Zuschauer trotz einer Prise pechschwarzen Humors einiges abverlangt.

    Die Cleeks sind eine regelrechte Bilderbuchfamilie: Das Ehepaar Chris (Sean Bridgers) und Belle (Angela Bettis) hat zwei Kinder (Zach Rand, Lauren Ashley Carter), zwei Hunde, ein schönes Haus auf dem Land und stets ein Lächeln auf den Lippen. Das ändert sich jedoch, als Anwaltsvater Chris während eines Jagdausflugs auf eine verwilderte Frau (Pollyanna McIntosh) stößt und diese kurzerhand mit nach Hause bringt. Hier soll sie, vorerst im Keller vor der Außenwelt verborgen, wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Doch schon nach kurzer Zeit gerät die Lage außer Kontrolle und die scheinbar so vorbildliche Familie offenbart ihr wahres Gesicht...

    Bereits 1986 legte David Lynch in „Twin Peaks" die dunklen Geheimnisse der Bewohner einer amerikanischen Kleinstadt offen. Lucky McKee fährt mit „The Woman" ein ähnliches Programm, zerstört er doch nach und nach die Illusion seiner Vorzeigefamilie. Diese Entwicklung vollzieht der Filmemacher dabei vor allem auch formell nach. Die bunten Farben verblassen und der fröhliche Pop-Soundtrack weicht melancholischen Klängen, die bisweilen bis zur Bedrohlichkeit anschwellen. Auch der Hintergrund der Wolfsfrau wird entsprechend bebildert und musikalisch forciert. Brauntöne treffen hier auf basslastige Klänge. Sind die Rollen damit zu Beginn noch eindeutig zugewiesen, so verschwimmen die Grenzen zwischen zivilisierter Familie und verrohter Waldbewohnerin im Verlauf des Films. Bald ist nicht mehr klar, wer dem Animalischen näher ist – die fremde Frau oder die Familie.

    Dabei verlangt McKee seinen Darstellern einiges ab. Vor allem für Pollyanna McIntosh („Burke & Hare") dürfte der Dreh eine echte Tortur gewesen sein. Nicht nur wurde das ehemalige Model durch die Maske äußerlich regelrecht entstellt, auch musste die Schauspielerin während der Aufnahmen in einer buckeligen Körperhaltung verharren. Gelohnt hat sich dieser Einsatz aber allemal. Souverän balanciert McIntosh zwischen animalischem Gebärden und menschlichen Gesten, was besonders in den Szenen mit Lauren Ashley Carter („The Prodigies") hervorragend funktioniert. Wertet ihre Leistung den Film bereits deutlich auf, stielt Sean Bridgers („Sweet Home Alabama") als Familienoberhaupt dann aber allen die Show: Den Wandel vom fürsorglichen Vater zum entrückten Familientyrannen nimmt man ihm einfach sofort ab. Sein taktvolles Auftreten behält der Mime dabei stets bei, was die Unberechenbarkeit seiner Figur noch unterstreicht – seine Fassade nimmt schließlich groteske Züge an und erinnert an die beiden zuvorkommenden Folterknechte aus Michael Hanekes „Funny Games" oder Ray Wises unvergessliche Performance als Leland Palmer in „Twin Peaks".

    Letztlich ist es aber vor allem der satirische Unterton, der begeistert und der sich auf allen Ebenen des Films konsequent durchzieht. In schonungslosen Bildern seziert Regisseur Lucky McKee die US-amerikanische Durchschnittsfamilie, indem er die menschgemachte Unterscheidung von Natur und Kultur schließlich vollständig implodieren lässt. Im finalen Akt schlägt die Handlung dann zwar doch einige allzu absurde Haken, was der Klasse des Films jedoch kaum einen Abbruch tut. „The Woman" ist übrigens nicht die erste Zusammenarbeit Lucky McKees mit Horror-Autor Jack Ketchum („The Offspring"). Bereits in „The Woods" verquickten die beiden intensives Horrorkino mit einer ausgeprägten Naturmotivik und bitterböser Satire – nach „The Woman" wäre also auch eine dritte Zusammenarbeit des Duos begrüßenswert. Ob es dann wohl wieder der Wald sein wird, der den Protagonisten ihre dunklen Geheimnisse entreißt? Es darf spekuliert werden.

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