Sarkasmus in seiner garstigsten und unerbittlichsten Form scheint der Familie McDonagh im Blut zu liegen. Diesen Gedanken legen jedenfalls die filmischen Werke der Regiebrüder John Michael („The Guard“) und Martin McDonagh („Brügge sehen … und sterben?“, „7 Psychos“) nahe, die konsequent und nachhaltig von dieser Geisteshaltung durchzogen sind. Bei ihnen sind die zynisch-ironischen Spitzen nicht wie bei manchem Kollegen opportunistische Attitüde, sie entspringen vielmehr einem skeptischen und schonungslosen, aber dennoch einfühlsamen Blick auf die menschliche Natur - und hinter der durchaus komischen Fassade verbergen sich tiefernste Erzählwelten. Das gilt nun ganz besonders für John Michael McDonaghs jüngsten Film „Am Sonntag bist du tot“ (im Original: „Calvary“) - ein rau-melancholisches Drama über einen irischen Priester, das tragikomisch beginnt, dessen Lacher aber irgendwann von beklemmender Schwere erstickt werden. Aus der starken (aus einem Film von Robert Bresson entlehnten) Grundidee entwickelt McDonagh einen faszinierend vielschichtigen Film über den existenziellen Kampf des moralischen Wesens Mensch gegen die Mächte der Finsternis.
Die Ereignisse, die sich innerhalb einer Woche in einer kleinen Gemeinde in der irischen Provinz abspielen, nehmen im Beichtstuhl ihren Anfang. Der so selbstbewusste wie gutherzige Dorfpriester Vater James Lavelle (Brendan Gleeson) bekommt von einem seiner Schäfchen die verbale Pistole auf die Brust gedrückt: Der Mann berichtet dem Geistlichen, dass er im Alter von sieben bis zwölf Jahren jeden zweiten Tag von einem katholischen Priester brutal vergewaltigt wurde. Dieses Trauma hat der inzwischen längst Erwachsene nie überwunden. Simple Rache kommt nicht in Frage, weil der Täter längst verstorben ist. Deshalb hat sich das Opfer einen perfiden Plan zurechtgelegt: Der Unbekannte will einen unbescholtenen, unschuldigen, moralisch integren Gottesdiener exekutieren - Priester Lavelle! Der hat nun eine Woche Zeit, seine persönlichen Angelegenheiten ins Reine zu bringen, bevor der Mann ihn an einem Strand zu erschießen beabsichtigt. Lavelle ist geschockt und weiß nicht, wie ernst er diese apokalyptische Drohung nehmen und was er nun tun soll. Zusätzliche Last bringt ihm der Besuch seiner fragilen Tochter Fiona (Kelly Reilly), die gerade einen kläglich gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich hat, und auch die Mitglieder der Gemeinde machen Lavelle das Leben nicht gerade leicht. Missmut und Gehässigkeit herrschen im Dorf und sie richten sich auch gegen den Geistlichen…
Bei seinem vielbeachteten Kinodebüt, der tiefschwarzen Komödie „The Guard“ (2011), hat John Michael McDonagh ein ganz feines Gespür für Timing und nuancenreichen Humor bewiesen. Und da sein Bruder Martin bisher auch stets in diese Kerbe haute, wurden für „Am Sonntag bist du tot“ Erwartungen an eine weitere sarkastische Humoreske geschürt. Diese Strategie erweist sich jedoch als irreführend, denn obwohl es auch hier trockenen Witz, knorrigen Humor und kühne Dialogduelle gibt, ist „Am Sonntag bist du tot“ eine deutlich ernstere Angelegenheit als die bisherigen Werke der englisch-irischen Brüder. Das zeigt sich im Verlauf des Films immer deutlicher, wenn John Michael McDonagh die eigentlichen Themen seiner Erzählung wie beim Schälen einer Zwiebel nach und nach zum Vorschein bringt. Nicht zuletzt klinkt er sich mit seinem Film in die aktuelle Debatte um Kindesmissbrauch durch Kirchendiener ein und bezieht dabei eine ungewöhnliche Perspektive, die er aus einer atemraubend cleveren Prämisse von messerscharfer Prägnanz entwickelt. Diese Ausgangssituation eines moralischen Dilemmas von niederschmetternder Ausweglosigkeit ist dabei lose an Motive aus Robert Bressons Klassiker „Tagebuch eines Landpfarrers“ (1951) angelehnt, dessen Titelfigur schon Martin Scorsese („The Wolf Of Wall Street“) und Paul Schrader („The Canyons“) zu ihrem „Taxi Driver“ Travis Bickle inspirierte.
Bei der Erkundung komplexer ethisch-religiöser Fragen von Schuld und Sühne ist McDonagh durchaus ein würdiger Erbe Bressons und Scorseses. Über seinem Protagonisten schwebt die quälende Ungewissheit, ob der Beichtende seine Drohung wirklich in die Tat umsetzt und in der Erwartung des Schlimmsten wird der Strand, wo er den Mann wiedertreffen soll, für den Priester zu seinem eigenen Calvary (das ist der im Deutschen als Golgatha bekannte Hügel außerhalb Jerusalems, auf dem Jesus Christus gekreuzigt wurde). Vater James‘ persönliche Ängste, die Verantwortung gegenüber der Gemeinde und der Eid, den er auf Gott und die Kirche abgelegt hat, prägen die Suche des kantigen, aber durch und durch sympathischen Priesters nach Antworten, die er für den mysteriösen Mann aus dem Beichtstuhl parat haben will. McDonagh verbindet das Ringen des Geistlichen um Sinn und Wahrheit unterdessen mit gekonnt gesteigerter Krimi-Spannung: Immer neue Verdächtige tauchen auf und verschwinden wieder (der Priester kennt den potenziellen Täter, der Zuschauer nicht), während sich die Schlinge um Lavelles Hals immer enger zuzieht und das feindselige Klima seine Unsicherheit noch steigert. „Am Sonntag bist du tot“ ist rau wie die irische Landschaft, deren majestätisch-wilde Schönheit Kameramann Larry Smith („Only God Forgives“, „The Guard“) in stimmungsvollen Breitwand-Aufnahmen einfängt.
Feinfühlig und in gemächlichem Erzähltempo navigiert der Regisseur seine Hauptfigur durch das moralische Minenfeld der Erzählung. Der aufgeregten Debatte um den Kindesmissbrauch durch Mitglieder des Klerus setzt er einen Gottesdiener entgegen, der keinem etwas zuleide tut und hilft, wo er nur kann, und wirft damit unter anderem die ur-christliche Frage auf, ob wirklich ein Unschuldiger die Verantwortung für die Verbrechen seiner Glaubensbrüder übernehmen kann oder sich sogar wie Jesus Christus für seine Schäfchen aufopfern sollte. McDonagh macht es sich und seinem Publikum dabei nicht einfach, während Hauptdarsteller Brendan Gleeson („The Guard“, „Brügge sehen … und sterben?!“) mit seiner dominanten Präsenz dafür sorgt, dass der Leidensweg des Priesters keine abstrakte Prüfung bleibt, sondern zur nachfühlbaren Belastung wird. Der irische Charakterkopf spielt den klugen Vater James als robusten und warmherzigen Gottesmann, der mit seinen sturköpfigen Schäfchen dennoch spürbar fremdelt. Er ist ihnen intellektuell deutlich überlegen, sieht sich aber nach einer persönlichen Tragödie in der Pflicht, Gott zu dienen. An der Seite des glänzenden Gleeson verdienen sich auch Kelly Reilly („Flight“) als Lavelles nervlich instabile Tochter sowie Aiden Gillen („The Wire“), Chris O’Dowd („Brautalarm“) und Marie-Josée Croze („Schmetterling und Taucherglocke“) als Dorfbewohner, die ihre Konflikte über den Priester austragen, eine besondere Erwähnung. Sie alle tragen ihren Teil zu einem atmosphärisch dichten und nachdenklich stimmenden Film bei.
Fazit: „The Guard“-Regisseur John Michael McDonagh bricht aus der sarkastischen Familientradition aus und überrascht mit einem zuerst tragikomischen, dann düster-melancholischen Schuld-und-Sühne-Drama von großer Eindringlichkeit.
Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.