In der deutschen Vergangenheitsbewältigung spielt das Kino eine zentrale Rolle – vom „Untergang" über „Sophie Scholl" bis an die Front von „Stalingrad". Dennoch ist nach inzwischen rund vier Jahrzehnten offener medialer Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich und nach gefühlt zahllosen Dokumentationen eine gewisse Routine eingekehrt. Frische Perspektiven jenseits weihevoller Dramatik und/oder wohlmeinender Pädagogik gibt es dabei selten. Und so wird man bei der Prämisse von Jeanine Meerapfels Nachkriegsdrama „Der deutsche Freund" gleich hellhörig: Die Regisseurin berichtet von einer Kindheit und Jugend im Argentinien der Nachkriegsjahre, wo Schinder und Opfer gleichermaßen versuchten, die Verbrechen und Leiden des Krieges zu vergessen. In Südamerika untergetauchte Kriegsverbrecher gab es zwar schon in Genre-Filmen wie „Der Marathon Mann" oder „The Boys from Brazil", im deutschen Kino ist das Thema bislang allerdings nahezu unberührt geblieben. Statt interessanter Einblicke in die generationenübergreifende Auseinandersetzung zwischen Opfern und Tätern erweist sich Meerapfels autobiografisch gefärbte Geschichte einer Liebe zwischen einem jungen Mädchen aus einer jüdischen Familie und dem Sohn eines hohen SS-Schergen jedoch bloß als bieder inszeniertes und oberflächlich erzähltes Melodrama.
In den 1950ern Jahren ist Argentinien des Altnazis liebster Altersruhesitz und so ist es den Eltern (Noemie Frenkel, Jean Pierre Noher) der jungen Jüdin Sulamit Löwenstein (Julieta Veltrano) nicht geheuer, dass ihre Tochter so viel Zeit beim deutschen Nachbarsjungen Friedrich Burg (Juan Francisco Rey) verbringt. Immerhin wird gemunkelt, dass dessen herrischer Vater (Carlos Kaspar) ein untergetauchter Nazi-Bonze ist. Jugendfreunde werden die beiden dennoch – und schließlich sogar Liebespartner, die zum Studieren nach Deutschland ziehen. Unterdessen hat Friedrich (jetzt: Max Riemelt) die Wahrheit über seinen Vater in Erfahrung gebracht und mit ihm gebrochen. Um die elterliche Schuld endlich abstreifen zu können, setzt er sich mit großer Verbissenheit gegen moderne Formen des Faschismus ein. Schließlich kehrt er kampfbereit zurück in seine Heimat, als diese an den faschistischen General Onganía fällt. Sulamit (jetzt: Celeste Cid) bleibt in Deutschland und zieht mit dem so engagierten wie braven Michael (Benjamin Sadler) zusammen. Vergessen kann sie Friedrich jedoch nicht. Als der in ein berüchtigtes Zuchthaus für politische Häftlinge geworfen wird, kehrt auch Sulamit nach Argentinien zurück...
Zumindest auf dem Papier scheint „Der deutsche Freund" alles zu bieten, was ein starkes Drama braucht: eine epische Erzählung, in der eine intime Liebes- und eine politische Entwicklungsgeschichte vor historischer Kulisse zusammengeführt werden; dazu kommt mit den Sünden der Väter und den Rehabilitierungsversuchen der Söhne ein ebenso komplexes wie gewichtiges übergreifendes Thema. Bloß, keiner dieser Aspekte kommt hier wirklich zur Geltung. Schon zu Beginn, wenn die Kindheits- und Jugendjahre der unglücklich Liebenden behandelt werden, fällt unangenehm auf, wie steif die 50er in Szene gesetzt werden. Die argentinischen Episoden muten wie museales Provinztheater an – hier spielt sich alles in schlichten Interieurs ab, während der südamerikanische Schauplatz nur in Form von zwei engen Straßenansichten jenseits der Fenster behauptet wird. Wenn es dann nach Deutschland geht, beschränkt sich Meerapfel weitestgehend auf Aufnahmen klischeehafter Studentenkneipen und Universitätsflure. Und wenn Sulamit schließlich mit Michael nach Köln zieht, wird auch dieser Ortswechsel bloß durch Fensterblicke signalisiert - diesmal dann eben welche auf den Rhein.
Auf lebendig und echt wirkende Kulissen ließe sich notfalls auch verzichten, aber ebenso bescheiden wie die Visualisierung fällt auch der Erzählstil aus. Die Gefühle etwa, die Sulamit und Friedrich füreinander hegen, wirken aufgrund der hölzernen Inszenierung, der aufgesetzten Dialoge und dem etwas ratlos wirkenden Zusammenspiel zwischen den Hauptdarstellern Max Riemelt und Celeste Cid von Anfang an forciert und flach. Auch die Studentenbewegung und die internen Zwists der Linken werden hier in erster Linie über Phrasen abgehandelt – dass es unter all den diskutierwütigen jungen Menschen auch sehr militante Geister gab, die sich in größenwahnsinniger Ideologie verrannten, ist ja keineswegs eine besonders neue Einsicht zu den soziopolitischen Phänomenen und frühen Versuchen der Vergangenheitsbewältigung im Deutschland der 70er Jahre.
Auch die Schauspieler bekommen kaum eine Gelegenheit, das müde Treiben aufzuwerten und ihre Figuren über melodramatische Gesten hinaus zu vertiefen. Riemelt hat bei Dennis Gansel („Die vierte Macht"), Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens") oder zuletzt in der Tragikomödie „Heiter bis wolkig" bewiesen, wie raumgreifend körperlich und nuanciert zugleich er spielen kann – hier bleibt ihm jedoch nicht viel mehr übrig als bedeutsame Blicke mit Celeste Cid auszutauschen, die als unfreiwillige Heldin in den wilden Gezeiten der Historie etwas blass bleibt. Die komplexe, von gegenseitigen Schuldgefühlen belastete Liebesgeschichte zwischen Friedrich und Sulamit ist hier etwas, über das man mehr informiert wird, als dass man es miterleben könnte. Statt eines großen Dramas darüber, wie persönliche Traumata ideologische Zäsuren bedingen ist „Der deutsche Freund" ein oft allzu kitschiges Rührstück ohne große Substanz geworden.
Fazit: Jeanine Meerapfels „Der deutsche Freund" ist ein ambitioniert konzipiertes aber ermüdend schlicht umgesetztes Schuld-und-Sühne-Drama, das trotz bedeutungsschwanger vorgetragener Thematik kaum etwas zur deutschen Vergangenheitsbewältigung beiträgt.