Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland praktizieren Yoga, 80 Prozent davon sind Frauen. Als der Opern- und Tanzfilm-Regisseur Jan Schmidt-Garre seine Yoga-begeisterte Frau das erste Mal zum Training begleitete, war er bloß neugierig. Nach einer kurzen Einarbeitungsphase jedoch erlebte er dabei eine so „explosive spirituelle Erfahrung", dass er kurzerhand mit der Kamera nach Indien reiste, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen. „Der atmende Gott" ist ein achtsam formulierter Reisebericht, in dem Schmidt-Garre seinen eigenen Protagonisten gibt: Statt sein Publikum zu belehren, nimmt er eine zugängliche Laienperspektive ein und lässt sich von altehrwürdigen Lehrern durch die Geschichte des indischen Yoga führen. Aufgelockert wird der gelegentlich etwas zu gemütliche Doku-Trip mit einer Spielsequenz in der Filmmitte und mit nie zuvor gezeigten, faszinierenden Archivaufnahmen des Großmeisters Krishnamacharya (1888 bis 1989).
So trendy Yoga als Fitness-Routine inzwischen sein mag, so verbreitet sind eben auch die Assoziationen mit Esoterischem, mit Patchwork-Spiritualität und schrägen New-Age-Philosophien. Damit stand Schmidt-Garre vor einer schwierigen Aufgabe: Wie lässt sich das im Hinduismus verwurzelte indische Yoga aus europäischer Perspektive porträtieren, ohne dabei billigen Kulturtourismus zu betreiben? Der deutsche Filmemacher geht den sicheren Weg und spart Religionsexkurse einfach aus. Mit einer ausdrucksstarken Szene empfiehlt er eine respektvolle Distanz zur indischen Kultur: Beim Besuch eines kleinen Hindu-Tempels muss Schmidt-Garre draußen bleiben, lediglich das Bildnis des atmenden Gottes Narasimha ist durch die Pforte sichtbar – sichtbar, aber damit noch lange nicht ergründbar.
Bevor der legendäre Krishnamacharya seine Yoga-Schule gründete, wurde er 1924 vom Maharadscha von Mysore gebeten, den Hof in philosophischen Wettstreiten zu vertreten. Konsequent tippt Schmidt-Garre auch diese Tradition nur in wenigen Sätzen an und konzentriert sich stattdessen auf die Körperlichkeit der Yoga-Lehre, auf ihren universellen und gewissermaßen auch ihren einzigen filmischen Aspekt: In den Jahren am Hof ließ Krishnamacharya Yoga-Choreographien für die Familie des Maharadschas aufführen, die in der einzigen Spielszene des Films nachgestellt werden. Viel beeindruckender sind allerdings die historischen Aufnahmen des praktizierenden Großmeisters. Kaum zu glauben, wie flexibel ein über Jahrzehnte trainierter Körper ist und mit welcher Eleganz er hier zum Kunstwerk erhoben wird!
Neben den Nachfahren Krishnamacharyas begegnet Schmidt-Garre auch dessen Schülern B. K. S. Iyengar und K. Pattabhi Jois, der während der Dreharbeiten mit fast 94 Jahren verstarb. In bedächtigen Gesprächen erinnern sich die Männer, auf die sich die meisten westlichen Schulen beziehen, an eine Zeit, in der Yoga in Indien noch als Kuriosum „für Bescheuerte und Verklemmte" galt. Im religiös-philosophischen Kontext hat Yoga zwar eine lange Schrifttradition, die Praxis als Atem- und Dehnübung fand aber erst im 20. Jahrhundert Verbreitung – und zwar als harte Disziplin samt scheppernden Ohrfeigen für nachlässige Schüler, weit jenseits westlicher Wellness-Programme. Gleichwohl ist „Der atmende Gott" ein Film über Indien, für Ausführungen zum „wahren" und „falschen" Yoga interessieren sich Schmidt-Garre und seine Gesprächspartner nicht.
Fazit: „Der atmende Gott" ist eine geduldige Auseinandersetzung mit Geschichte und Körperlichkeit des indischen Yoga. Zwar werden die religiös-philosophischen Dimensionen bloß angedeutet. Mit seinem Verzicht auf ethnographisches Gehabe ist Schmidt-Garre so aber auch ein gänzlich unprätentiöser Film gelungen, der keineswegs nur für drei Millionen deutsche Yogis offen ist.