Das Thema Transsexualität führt in der breiten Öffentlichkeit und auch im Kino ein Nischendasein. Filme wie „Transamerica" oder „Boys Don´t Cry" über den Mordfall Brandon Teena, für den Hilary Swank mit dem Oscar als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, sind nach wie vor eine Seltenheit. Nun gibt es nach Oskar Roehlers „Agnes und seine Brüder" wieder einmal einen deutschen Kinofilm, in dem eine transsexuelle Figur im Mittelpunkt steht. Regisseurin Sabine Bernardi („GG 19") erzählt in ihrem ersten langen Spielfilm „Romeos" einfühlsam von Lukas, der als Miriam zur Welt kam, und dem schwierigem Leben mit dem Wissen, im falschen Körper geboren worden zu sein. „Romeos" ist ein bewegendes Drama über Konflikte und Identitätskrisen, über den Taumel der Gefühle und über wahre Freundschaft.
Lukas (Rick Okon) ist zwanzig und zieht in die Großstadt. Kaum in Köln angekommen, eröffnet sich ihm das erste große Problem: Statt wie geplant im Zivi-Wohnheim unterzukommen, wurde er im benachbarten Schwesternheim einquartiert. Das hat er der Bürokratie zu verdanken, denn Lukas wurde als Miriam geboren und ist „eigentlich" ein Mädchen, auch wenn er sich mitten in der Geschlechtsumwandlung befindet und nur wenige Wochen von der erlösenden Operation entfernt ist. Lukas' einzige echte Vertraute ist Ine (Liv Lisa Fries), mit der er schon in der Schule befreundet war. Nachdem er auf den attraktiven Fabio (Maximilian Befort) trifft und sich Hals über Kopf verliebt, werden seine Probleme noch größer und es wird immer schwieriger, seine eigene Identität zu verbergen und ein „normales" Leben zu führen. Alltägliche Situationen wie das Duschen im Gemeinschaftsbad oder ein Ausflug an den Badesee stellen plötzlich unüberwindbare Probleme dar und ein ewiges Versteckspiel beginnt...
Ein Film wie „Romeos" steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit seiner Hauptfigur. Lukas erscheint hier von Anfang an als sympathischer junger Mann und sein Kampf um ein unbeschwertes Leben mit seiner wahren Identität wird geschickt nachvollziehbar gemacht. Wenn der durch Hormonspritzen und Muskeltraining äußerlich kaum mehr als Mädchen wahrzunehmende Lukas ausgerechnet in der Großstadt, wo er sich mehr Freiheit erhoffte, als einziger junger Mann im Schwesternwohnheim einquartiert wird, dann lässt es sich wunderbar mit ihm fiebern und bangen. Behutsam vermittelt Sabine Bernardi Lukas' tumultuöse Gefühlswelt, das Porträt bleibt nicht zuletzt durch die grandiose Leistung des Hauptdarstellers Rick Okon („Rock It!") immer wahrhaftig und realistisch.
Aber nicht nur der Protagonist und sein emotionales Chaos sind hervorragend dargestellt, auch Liv Lisa Fries („Die Welle") als Ine und Maximilian Befort („Henri IV") als Fabio brillieren in ihren Parts und bringen überzeugend ganz eigene Probleme zum Ausdruck: Ine kämpft mit dem Verlust ihrer besten Freundin Miriam und steht dem „neuen" Lukas daher manchmal kritisch gegenüber, und Fabio ist trotz seines attraktiven Aussehens seinerseits sehr unsicher und traut sich nicht, sich vor seinen Eltern zu outen. Durch diese sorgfältig gezeichneten Nebenfiguren werden die spezifischen Schwierigkeiten im Umfeld von Transsexuellen mitberücksichtigt, ohne dass „Romeos" deshalb gleich zum Lehrstück würde.
Obwohl gleichgeschlechtliche Liebe und Transgender-Identitäten heutzutage keine Seltenheit mehr sind und wir in einer vermeintlich liberalen und aufgeklärten Gesellschaft leben, ist das Thema für viele Zuschauer immer noch Neuland. Dem trägt Sabine Bernardi Rechnung, indem sie elegant verpackt viele unweigerlich auftretende Fragen beantwortet: Wird so eine OP von der Kasse bezahlt? - Antwort: ja. Und warum ist Miriam nicht einfach ein Mädchen geblieben, wenn sie sich doch als Junge immer noch in Männer verliebt? - Antwort: So einfach ist das nicht... Nein, so einfach ist das sicher nicht, aber Bernardi, die für ihr Spielfilmdebüt zwei Jahre intensiv recherchierte, hat ganze Arbeit geleistet und behandelt die vermeintliche Randgruppenthematik differenziert und dennoch für alle verständlich.
Fazit: „Romeos" ist ein glaubwürdiges Drama mit viel Feingefühl sowie der nötigen Portion Witz und Leichtigkeit - ein sehenswerter Film über eine schwierige Thematik, der zum Mitdenken anregt und zum Mitfühlen einlädt.
Von Anne Facompré