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    The Forgiveness Of Blood
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Forgiveness Of Blood
    Von Christoph Petersen

    In seinem preisgekrönten Erstling „Maria voll der Gnade" erzählte Regisseur und Autor Joshua Marston die Geschichte einer schwangeren kolumbianischen Teenagerin, die als Drogen-Esel 62 mit Heroin gefüllte Kondome nach New York schmuggeln soll. Das brachte seiner Hauptdarstellerin Catalina Sandino Moreno immerhin eine Oscar-Nominierung sowie einen Silbernen Bären bei der Berlinale 2004 ein. Nach sieben Jahren, in denen er einige Kurzfilme und Serienepisoden inszeniert hat, kehrt Joshua Marston nun mit seinem zweiten Spielfilm zum Festival nach Berlin zurück. Wie schon in seinem Debüt, in dem er eben nicht die Drogenbarone und Bundesagenten, sondern eine einfache Kurierin in den Mittelpunkt stellte, erwählt sich der Regisseur auch in „The Forgiveness of Blood" wieder einen Charakter als Protagonisten, der in anderen Filmen mit ähnlicher Thematik schon oft übersehen wurde.

    Der 17-jährige Nik (Tristan Halilaj) lebt mit seinen Eltern und Geschwistern im Norden Albaniens. Noch hat er ein Jahr Schule vor sich, aber dann plant er im Dorf ein kleines Internetcafe zu eröffnen. Doch bevor es dazu kommt, tötet sein Vater Mark (Refet Abazi) im Streit um einen versperrten Feldweg ein Mitglied eines Clans, mit dem Niks Familie schon länger im Clinch liegt. Während Mark flieht, darf Nik das Haus fortan nicht mehr verlassen, weil eine jahrhundertealte Tradition der Familie des Ermordeten sonst das Recht geben würde, ihn zu töten. Mit einem untergetauchten Vater und einem Bruder, der nicht mehr vor die Tür kann, ist es nun an Niks Schwester Rudina (Sindi Laçej), das Familienauskommen zu sichern. Währenddessen wird Nik immer frustrierter, denn es kann durchaus auch mal fünf Jahre oder länger dauern, bis so eine Fehde wieder beigelegt ist...

    Filme über Familienfehden gibt es mehr als genug, allein im Westerngenre finden sich etliche Vertreter. Aber durch die Verlagerung des Schwerpunkts auf Nik, der am eigentlichen Konflikt gar nicht beteiligt ist und einfach nur für die Tat seines Vaters in Sippenhaft genommen wird, gewinnt Joshua Marston dem Thema eine vollkommen neue Perspektive ab. Zwar wird das Haus von Niks Familie einmal von einem Unbekannten beschossen und der Stall im Garten wird auch angezündet, aber insgesamt steht doch Niks Kampf mit der Isolation klar im Vordergrund. Ein moderner, junger Mann ist plötzlich gefangen in einer mehrere hundert Jahre alten Tradition. Gerade noch hat er darüber nachgedacht, wie er ein schönes Mädchen aus seiner Schule dazu bringt, mit ihm anzubändeln, nun muss er aufpassen, dass er nicht in der nächsten Sekunde erschossen wird. Das ist so absurd und grauenerregend zugleich, dass man fast schon vermuten könnte, Franz Kafka hätte hier seine Finger im Spiel gehabt.

    Besonders erschreckend an „The Forgiveness of Blood" ist auch, wie sich alle Beteiligten in ihr Schicksal ergeben. Es wird zwar an die andere Familie appelliert, einen Frieden zu ermöglichen, aber niemand kommt auch nur auf die Idee, das Auge-um-Auge-Prinzip an sich in Frage zu stellen. Das alte albanische Gewohnheitsrecht, der aus dem 15. Jahrhundert stammende Kanun, erlaubt es der Familie eines Ermordeten auch heute noch, ein erwachsenes, männliches Mitglied der Familie des Mörders als Wiedergutmachung zu töten. Die Polizei nimmt zwar Ermittlungen auf, hat aber im Endeffekt nicht wirklich etwas zu melden. Dass eine solche Tradition noch immer Anwendung findet, erscheint dem Zuschauer gerade deshalb so absurd, weil Nik ein Mobiltelefon und eine Videospielkonsole besitzt. Technologisch ist die Gesellschaft in der Gegenwart angekommen, aber in den Köpfen können offenbar Bräuche fortbestehen, die schon längst nicht mehr in die Zeit zu passen scheinen.

    Fazit: Eindringliches Drama über das zaghafte Aufbegehren der Moderne und die fatale Macht der Tradition.

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