„Lächerlich!", „Peinlich!", „So was von fail!", „Setzen, sechs!", „Nur scheiße!", „Dazu fällt einem nichts mehr ein!", „Eigentlich müsste man Schmerzensgeld verlangen!" – Wer jetzt glaubt, diese gesammelten Nettigkeiten wären Publikumsreaktionen zur neuen Adam-Sandler-Komödie „Der Chaos-Dad", irrt gewaltig. In Wahrheit handelt es sich bei den Schmähsprüchen nämlich um User-Kommentare zu unserer Vier-Sterne-„Jack und Jill"-Rezension, die sich seit ihrem Erscheinen im Januar zur umstrittensten FILMSTARTS-Kritik überhaupt gemausert hat. Während Besprechungen von Hollywood-Komödien bei uns ansonsten selten hohe Wellen schlagen, stand die Kritik zu „Der Chaos-Dad" im Nachklang des allgemeinen Aufruhrs unter ganz anderen Vorzeichen. Leser und FILMSTARTS-Redakteure stellten sich schließlich gleichermaßen die Frage: „Geht das jetzt wieder von vorne los?" Doch am Ende ist die Sache eigentlich ganz simpel: Wir haben bei Sean Anders‘ „Der Chaos-Dad" nicht ganz so laut gelacht wie bei „Jack und Jill", aber immer noch deutlich mehr als in den meisten anderen Komödien, die wir in diesem Jahr gesehen haben.
Als er in den 1980ern seine laszive Lehrerin Mrs. McGarricle (Eva Amurri Martino) schwängert, avanciert der 13-jährige Donny Berger (Justin Weaver) zur Talkshow-Sensation, während seine große Liebe für 30 Jahre hinter Gitter wandert. Fast drei Jahrzehnte später ist Donny (Adam Sandler) zum abgehalfterten C-Promi-Playboy verkommen, der nur noch wenige Tage Zeit hat, um dem Finanzamt 43.000 Dollar zu zahlen - ansonsten muss auch er in den Knast. Donnys einzige Hoffnung: sein Sohn Han Solo, der an seinem 18. Geburtstag geflüchtet ist und sich inzwischen sogar eine neue Identität als Todd Peterson (Andy Samberg) zugelegt hat, um nicht von seinem Vater gefunden zu werden. Todd ist inzwischen ein erfolgreicher Hedgefonds-Manager und will in wenigen Tagen die wunderschöne Jamie (Leighton Meester) ehelichen. Doch da hat der verlorene Sohn die Rechnung ohne seinen Erzeuger gemacht: Donny platzt nämlich aus heiterem Himmel in die Hochzeitsvorbereitungen und sorgt so für jede Menge Chaos...
„Der Chaos-Dad" ist eine dieser „Nein, das macht der jetzt nicht wirklich"-Komödien, die es in den 80er Jahren noch zuhauf gab, die in unseren politisch korrekten Zeiten allerdings zunehmend vom Aussterben bedroht sind. Studiobosse werden einen Teufel tun und solche Projekte durchwinken, denn sie scheuen bekanntlich das Risiko und versprechen sich sicherere Geschäfte, wenn sie den Humor auf ein gemäßigteres Level zurückfahren lassen. In „Brautalarm" gibt es die zugegebenermaßen sehr lustige und allseits abgefeierte Szene mit den in der Öffentlichkeit vollgeschissenen Brautkleidern. In „Der Chaos-Dad" gibt es nun auch eine Szene mit Brautkleid und Körperflüssigkeiten. Aber wenn Adam Sandler dann noch die Kombination aus Sperma und Kotze als genauso gut zusammenpassend wie Gin und Tonic tituliert, geht er eben noch diesen einen Schritt weiter, für den ihn seine Verehrer lieben und seine Feinde hassen. Das ist die Crux mit der wahren Political Incorrectness - wenn sich nicht mindestens die Hälfte des Publikums angewidert abwendet oder mit Fackeln und Mistgabeln Richtung Leinwand stürmt, dann hat die Pointe auch nicht den richtigen Nerv getroffen.
Ein häufiger Vorwurf gegenüber Adam Sandler ist, er wäre respektlos und würde von Ausländern bis hin zu Schwulen praktisch alle Minderheiten schamlos für platte Pointen ausnutzen. Aber nicht jeder Gag über eine Minderheit ist von Natur aus respektlos, ganz im Gegenteil. Nehmen wir zum Beispiel das 80-jährige Ex-Bademoden-Model Delores (Peggy Stewart) aus „Der Chaos-Dad". Aus Mangel an erregendem Material verwendet Donny ein Foto von ihr, um sich vor dem Schlafengehen noch schnell einen runterzuholen. Am nächsten Morgen kommt Omi ins Zimmer, überall liegen feucht-klebrige Taschentücher herum, während ihr Bild noch immer neben Donny auf dem Bett liegt. Die Situation ist eindeutig, doch als Todd hereinkommt, versucht er der Großmutter stammelnd klarzumachen, dass Donny einen ganz doll schlimmen Schnupfen hat: An dieser Stelle würden schlechte Komödien stoppen. Aber in einer Adam-Sandler-Komödie hat dann eben doch die Oma mit einer grandiosen Pointe das letzte Wort und ist plötzlich auch nicht mehr das allzu leichte Ziel des Gags: „Wenn er doch so krank ist, sollte er dann nicht vielleicht weniger oft masturbieren?"
Die Minderheiten, die Missgestalteten, die Minderbemittelten, die unverbesserlichen Loser - sie sind bei Adam Sandler immer „in on the joke", sie sind Mitwisser und Eingeweihte, die auf Augenhöhe agieren. Wenn sie zum Ziel derber Pointen werden, dann ist das Sandlers Form von Gleichbehandlung: Bei ihm kann es wirklich jeden erwischen. Auf diese Weise wird ihnen deutlich mehr Respekt entgegengebracht als dies bei vielen anderen Filmemachern der Fall ist, die alle Figuren am Rande der Gesellschaft automatisch mit Samthandschuhen anfassen. Sandler dagegen zieht sie nicht nur durch den Kakao, sondern gönnt allen auch gemeinsamen Spaß wie in „Der Chaos-Dad" etwa bei einem unvergleichlichen Baseball-Spiel und einem irrsinnigen Junggesellen-Abschied.
Fazit: Adam Sandler geht mit seinem tabulosen Humor in „Der Chaos-Dad" noch ein ganzes Stück weiter als jemals zuvor. Nach dieser Feststellung sollte eigentlich jeder selber wissen, ob die an Derbheit kaum noch zu überbietende Komödie das Richtige für ihn ist oder nicht.