Mit gerade einmal zwei Regiearbeiten avancierte Judd Apatow zu Hollywoods neuem Comedy-Guru. „Jungfrau (40), männlich, sucht..." und „Beim ersten Mal" begeisterten Publikum und Kritik gleichermaßen und verschafften dem gebürtigen New Yorker eine Ausnahmestellung, die er vor allem als Produzent weiterer Kinohits („Brautalarm", „Superbad") und durch eine erfolgreiche TV-Serie („Girls") zementiert hat. Die so errungene Narrenfreiheit lebt Apatow bei seinen Regiearbeiten voll aus und entsprechend war sein dritter Kinofilm „Wie das Leben so spielt" mit Adam Sandler ein fast zweieinhalb Stunden langer wildwuchernder Exzess aus dem Niemandsland zwischen Drama und Komödie, der auf entschieden geteilte Meinungen stieß. Mit „Immer Ärger mit 40", in dem es im Übrigen ein Wiedersehen mit einigen Figuren aus „Beim ersten Mal" gibt, macht Apatow nun genau da weiter und zeigt erneut keinerlei Interesse an lehrbuchgemäßer Dramaturgie. Mit seinen oft überlangen, meist improvisierten Episoden, den unzähligen Nebenfiguren, die oft nur kleine Gastauftritte absolvieren und den nicht zu Ende gebrachten Handlungssträngen ist „Immer Ärger mit 40" alles andere als eine runde Sache. Doch die ungezügelte Vermischung von beißendem Humor, handfestem Drama und Familienanalyse ergibt einmal mehr einen sehenswerten Film – nicht zuletzt dank des größtenteils großartigen Ensembles.
Pete (Paul Rudd) und seine Frau Debbie (Leslie Mann) werden in derselben Woche 40 Jahre alt. Während er eine Party plant, kann sie das neue Alter nicht akzeptieren und besteht sogar auf eine Geburtstagstorte mit einer 38 drauf. Das Paar hat sich nicht mehr viel zu sagen und kaum noch Sex, auch in der Erziehung der ständig streitenden Töchter Sadie (Maude Apatow) und Charlotte (Iris Apatow) findet es nur selten einen gemeinsamen Nenner. Zu allem Überfluss verheimlicht Pete seiner Frau auch noch, dass der Familienruin droht, da sein Plattenlabel vor der Pleite steht und außerdem lässt er sich von seinem Vater Larry (Albert Brooks) immer wieder Geld aus der Tasche ziehen. Dabei hat Debbie ganz ähnliche Probleme. Aus der Kasse ihrer Kleiderboutique fehlt eine Menge Geld, das eine ihrer beiden Angestellten Jodi (Charlyne Yi) und Desi (Megan Fox) geklaut haben muss. Und auch sie hat eine problematische Beziehung zu ihrem Vater, Oliver (John Lithgow): Sie hat ihn gerade zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten wiedergesehen...
In dieser Inhaltsangabe fehlen immer noch zahlreich Handlungsstränge und durchaus wichtige Figuren. Zwar steht die problematische Ehe des bereits aus „Beim ersten Mal" bekannten Pärchens Pete und Debbie stets im Mittelpunkt, doch Apatow eröffnet immer wieder neue Nebenschauplätze. Ob Debbies Fitnesstrainer Jason (Jason Segel) und Petes Angestellter Ronnie (Chris O'Dowd) um die schöne Megan Fox konkurrieren, Sadie endlich ihren Marathon mit allen Folgen der TV-Serie „Lost" abschließen will und der schnuckelige Joseph (Ryan Lee) ihr Avancen macht oder Pete und Debbie sich mit dessen Mutter Catherine (Melissa McCarthy) anlegen: Irgendwo ist immer was los. Apatow springt munter zwischen oft kaum verbundenen Einzelgeschichten hin und her, reißt dabei manches nur an und bringt längst nicht alles zu Ende, wobei er einzelne Szenen aber gerne noch nach der eigentlichen Pointe weiterführt. Apatow lässt seine Erzählung regelrecht „ausfransen" und gibt ihr damit bei einer Laufzeit von deutlich über zwei Stunden das genaue Gegenteil einer stromlinienförmigen und ökonomischen Struktur.
Die enormen dramaturgischen Freiheiten, die sich Apatow erlaubt, die Auslassungen und Sprünge, die Tempowechsel und der bewusste Leerlauf erinnern an einige Meister des europäischen Autorenkinos wie Jacques Rivette („Die schöne Querulantin"). Ganz ähnlich wie der Franzose, mit dem er die Vorliebe für lange Filme teilt, nimmt Apatow seine Zuschauer nicht bei der Hand, um sie schnurstracks von Punkt A zu Wendung B zu führen, vielmehr wird der Betrachter zum Flaneur, der sich durch eine Fülle von mehr oder weniger absurden Ideen, disparaten Handlungsfetzen und Elementen aus unterschiedlichsten Genres treiben lassen kann. Diese sehr ungezwungene Erzählweise auf eine Hollywood-Komödie zu übertragen, ist ein besonderes Kunststück und Apatow kommt ihm immer näher: „Immer Ärger mit 40" ist in dieser Hinsicht die logische Weiterführung des mit „Wie das Leben so spielt" eingeschlagenen Weges und der Regisseur nimmt dabei in Kauf, dass ihm Teile des Mainstream-Publikums dorthin wahrscheinlich nicht mehr folgen mögen. Wohl für jeden Zuschauer gibt es in diesem Film Szenen, die nicht „funktionieren", die zu lang oder zu kurz oder sonstwie störend ausfallen und einige Figuren (Apatows Familie mit Ehefrau Leslie Mann und den Töchtern Maude und Iris sowie allen voran Charlyne Yi als kleptomanische Drogenkranke) sind so hysterisch, dass sie durchaus die Nerven strapazieren. Aber zugleich ist „Immer Ärger mit 40" auch unverwechselbar und originell und steckt voller gelungener Momente.
Brillant fühlt Apatow der von der Midlife-Crisis geplagten Familie auf den Zahn und erfasst die Situation punktgenau. Dabei geht er durchaus schonungslos zur Sache, ist aber niemals böse oder herablassend. So ist die scheinbar völlig kaputte Ehe von Pete und Debbie letztlich doch auf vertrackte Weise eben nicht am Ende, auch wenn man mal lügt oder sich auf der Toilette versteckt, um in Ruhe mit dem iPad Scrabble spielen zu können. Wichtig ist der Zusammenhalt, wenn es wirklich hart auf hart kommt und es um die Familie als Ganzes geht: Nicht umsonst kommen erste Signale für eine Aussöhnung von der kleinen Tochter, die sich mit ihrer Schwester arrangiert. Debbie und Pete wiederum ziehen das erste Mal wieder an einem Strang, als es darum geht, gegen eine andere Mutter die eigene Familienehre zu verteidigen - diese Szene gehört zu den besten in Apatows Karriere.
Der Elternstreit im Büro der Schulrektorin (Joanne Baron) wird nicht zuletzt durch die brillante Darstellung von Melissa McCarthy („Brautalarm") zu einem denkwürdigen Höhepunkt. Sie beschwert sich als Catherine darüber, dass Debbie ihren Sohn aufs Übelste beschimpft und bloßgestellt habe. Dabei redet sie sich immer mehr in Rage, während Debbie und Pete alles mit stoischer Gelassenheit abstreiten. Schließlich explodiert Catherine in einem fulminanten Wutanfall förmlich. Nicht umsonst gibt es im Abspann noch einmal eine alternative, nicht minder witzige Version dieser komplett improvisierten „Fuck"-Rede. Daneben bleibt vor allem Albert Brooks nachhaltig in Erinnerung. Der Komödiant und Schauspieler, der 2011 mit „Drive" nach vielen Jahren Kinopause ein eindrucksvolles Comeback gab, überzeugt als schmieriger, arbeitsloser Vater, der mit neuer junger Frau (Lisa Darr) und Drillingen „belastet" ist und seinem ältesten Sohn Pete mit entwaffnender Ehrlichkeit das Geld aus der Tasche zieht. Diese Figur ist wie vieles andere in diesem Film gnadenlos überzeichnet, aber gerade dadurch legen Apatow und seine Schauspieler immer wieder den wahren Kern von Personen und Situationen offen. Diese Wahrhaftigkeit ist die größte Stärke des Films.
Fazit: „Immer Ärger mit 40" ist lang und unrund, bisweilen sogar nervig und trotzdem vor allem eins: gut! Judd Apatow erzählt mal urkomisch, mal dramatisch von der Midlife-Crisis und allerhand anderen Problemen, dabei behält er trotz aller Eigenwilligkeit und Überzeichnung den wahren Kern der Dinge immer im Blick.