Mit jedem Kind wird die Welt neu geboren – die Unschuld und Sorglosigkeit der Kindheit vor Angst, Gewalt und Ausbeutung zu bewahren, das sollte für jede Gesellschaft oberste Priorität haben. Leider bleibt es allzu oft beim frommen Wunsch. Rund um den Globus machen Armut und Misshandlung Kinder zu Tätern. Die Verwahrlosung und die Isolation, die in den Industrienationen um sich greifen, sind bereits schlimm genug. Der Horror, in dessen Angesicht afrikanische Kindersoldaten aufwachsen, ist jedoch kaum noch in Worte zu fassen. Mit dem Drama „War Witch" nimmt Kim Nguyen die zerstörte Seelenlandschaft einer 12-jährigen Kindersoldatin in den Fokus. Dabei geht er mutige Wege, um sich in seine Figur einzufühlen, verliert sich im Verlauf seines Werkes aber zunehmend in völlig deplatziertem Ethno-Kitsch.
Im zarten Alter von 12 wird Komona (Rachel Mwanza) entführt und in die Kinderarmee des blutrünstigen Warlords Grand Tigre Royal (Mizinga Mwinga) gezwungen. Gleich darauf muss sie ihre eigenen Eltern ermorden. Bevor sie 13 Jahre alt ist, hat sie nach eigenen Angaben mehr Menschen getötet, als sie Haare auf dem Kopf hat. So tragisch ihre Geschichte auch ist – sie ist kein Einzelfall. Außergewöhnlich sind dagegen Komonas paranormale Fähigkeiten: Die Geister der Menschen, die durch ihre Hand ums Leben kamen, begleiten sie und warnen sie vor Gefahr. Sind es zuerst nur ihre Eltern, die ihr als kalkweiße Phantome erscheinen, folgt ihr später eine wahre Gespenster-Armee. Grand Tigre Royal wird auf Komonas Fähigkeiten aufmerksam – und ernennt sie zu seiner Kriegshexe...
„War Witch" überrollt sein Publikum mit einer Woge aus Unglück und Gewalt. Mit filmischen Mitteln kann die mit solchen Lebenslagen einhergehende Verstörung jedoch bloß angedeutet werden. Wenn ein brutaler Kommandant Komona zwingt, ihre Eltern mittels Maschinengewehrschüssen hinzurichten – und zwar mit der Drohung, sie anderenfalls ungleich qualvoller mit seiner Machete zu zerhacken –, ist dies eines der unmenschlichsten Szenarien, die man sich überhaupt vorstellen kann. Die entsprechenden Filmszenen sind jedoch so sachlich-nüchtern inszeniert, dass es schon fast teilnahmslos wirkt; die grausamsten Momente scheinen schlichtweg zu verpuffen, sobald sie vorbei sind. Auch Komonas „Sozialisierung" vom Kind zum Killer wird viel zu hastig und distanziert geschildert.
Ein kompromissloses Kino-Blutbad wäre keineswegs automatisch die bessere Lösung gewesen, aber hier sieht der Krieg nie wirklich grauenhaft aus. Das hätte bei so einem Stoff nicht passieren dürfen. Die übernatürlichen Elemente der Erzählung dagegen mögen auf den ersten Blick befremdlich, je nach Perspektive sogar ärgerlich wirken. In jüngerer Vergangenheit haben Filmemacher jedoch immer wieder gezeigt, dass ein wenig Magie auch düster-realistischen Stoffen gut stehen kann. So hatten etwa auch die leidgeprüften Antihelden in „Ein Prophet" und „Biutiful" Kontakt zur Welt der unseligen Geister. Mit diesem Kunstgriff wurden unerträgliche Realitäten auf fantastische Art verfremdet und so erst als Filmerzählung greifbar gemacht.
Tatsächlich sind auch die Auftritte der „War Witch"-Geister besonders zu Beginn echte Höhepunkte. Aberglaube und schwarze Magie sind hier ein fester Bestandteil des grauenhaften Untergrundkampfes. Mit Grand Tigre Royal wird sogar ein von Sagen und Propaganda-Märchen umwobener Antagonist eingeführt, der trotz nur weniger Auftritte den gesamten Film über präsent bleibt – dabei kommt es gelegentlich zu wahren Gänsehautmomenten. Leider verliert Nguyen diese erzählerische Klarheit immer wieder. So verfängt er sich etwa in einer Romanze zwischen Komona und einem Albino-Kindersoldaten (Serge Kanyinda), der als böser Geist gilt und nur „der Magier" gerufen wird. Für kurze Momente scheint eine kindliche Liebe möglich, ehe jede Hoffnung wieder zunichte gemacht wird.
Zum Schluss stiehlt sich Regisseur Nguyen aus der Affäre, indem er eine emotionale Gesundung seiner Heldin durch eine Reise ins Dorf ihrer Kindheit und das Begräbnis der Überreste ihrer Eltern anbietet. Gesagt, getan – und schon ist das Trauma überwunden? Nguyen mag sich einer kindlichen Perspektive verpflichtet fühlen, prinzipiell sind derart pragmatische Lösungen ja auch erzählbar. Wie er sie jedoch umsetzt, fällt entschieden zu flach und vereinfachend aus. Auch der Ethno-Soundtrack mit seinen Kinderchören und den exotischen Afro-Klängen stößt sauer auf. So wird eine substantielle Auseinandersetzung mit dieser schrecklichen Erfahrungswelt immer wieder zugunsten vordergründiger Sentimentalität verworfen.
Fazit: Streckenweise überrascht Kim Nguyens Kriegsdrama „War Witch" mit spannenden, unorthodoxen Ideen. Doch der Regisseur verliert diese Stärken immer wieder aus den Augen und schwelgt in deplatziertem Kitsch.