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    Bad Boy Kummer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Bad Boy Kummer
    Von Michael Smosarski

    Tom Kummer, ehemaliger Journalist und frischgebackener Paddle-Tennis-Profi, hat in den 90er Jahren zahlreiche Starinterviews gefälscht und damit seine Auftraggeber bloßgestellt. Als „Bad boy" bezeichnet er sich selbst zu Beginn von Miklós Gimes‘ Dokumentation, dabei würden seinen ehemaligen Weggefährten ganz andere Bezeichnungen für ihn einfallen: Hochstapler, Betrüger oder Nestbeschmutzer. In Kummers Selbstbeschreibung als „böser Junge" jedoch klingt all das an, was ihn als Persönlichkeit auszeichnet, das Kindliche, das Subversive, das Spielerische nämlich. Näher kommt „Bad Boy Kummer" seinem Protagonisten filmisch allerdings auch nicht, denn Regisseur Gimes fehlt es als Interviewer an inquisitorischem Nachdruck, um dem rätselhaften Charismatiker wirklich auf den Zahn zu fühlen. Nichtsdestotrotz ist der Dokumentarfilm äußerst sehenswert, führt er doch auf amüsante Weise den Medienzirkus mitsamt seinem aufgesetzten Ehrgefühl vor.

    Journalist Tom Kummer entlockte Pamela Anderson alle Details ihres exzessiven Partylebens und ließ Mike Tyson über die Philosophie des Körpers schwadronieren. Das einzige Problem dabei: Es war alles erstunken und erlogen. Als das Kartenhaus zusammenfällt, hat Kummer bereits etliche Fake-Interviews in renommierten Formaten wie der Süddeutschen Zeitung untergebracht und sie sogar in Buchform gesammelt herausgegeben. Sein dreister Betrug kostete unter anderem zwei Chefredakteure den Job – wie also steht Kummer heute, zehn Jahre später, zu seiner journalistischen Vergangenheit? Miklós Gimes geht dieser Frage in persönlichen Gesprächen, auch mit den Leidtragenden aus jener Zeit, nach.

    Tom Kummer ist eine faszinierende Persönlichkeit, in einem Moment wortgewandt und extravertiert, im nächsten hilflos und verletzlich. Wer als Filmemacher auf einen Protagonisten wie ihn zählen kann, muss sich über das Endergebnis kaum noch Sorgen machen. Tatsächlich trägt Kummer mit seiner Ausstrahlung mühelos die gesamte Dokumentation, auch wenn er das Publikum, ebenso wie Regisseur Gimes, stets auf Distanz hält. Es ist erstaunlich, dass seine völlig überzogenen Interview-Ergüsse vor der Publikation kaum hinterfragt wurden. Sehr schnell wird deutlich: Kummer ist ein Mensch, dem man nichts glauben, aber alles verzeihen würde. Einen Großteil seines Unterhaltungswerts bezieht „Bad Boy Kummer" aus der Konfrontation des Borderline-Journalisten mit seinen ehemaligen Auftraggebern, die allesamt auch im Rückblick nicht über die Medien-Farce lachen können, sondern bierernst auf journalistischem Ethos beharren und sich in Rage reden, während Kummer einfach nur mit den Schultern zuckt.

    Hier ist das Publikum aufgefordert, sich selbstständig ein Bild davon zu machen, bis zu welchem Grad diese Entrüstung der Auftraggeber ehrlich ist und inwieweit sie lediglich eine Reaktion darauf darstellt, in flagranti erwischt worden zu sein: Dabei nämlich, sensationslüstern alles abzudrucken, was Auflage bringen könnte. Auch Gimes‘ Anteil am Gelingen von „Bad Boy Kummer" ist bei aller Präsenz seines Protagonisten nicht zu unterschätzen. Der narrative Ansatz, die Dokumentation nicht chronologisch aufzubauen, sondern sprunghaft biographische und thematische Schauplätze zu wechseln, wird genutzt, um das Wirre, Kreative und Assoziative Kummers anzudeuten. Zudem leistet die Dokumentation auch eine medien- und kunsthistorische Einordnung des „Phänomens Kummer", indem sie mit entsprechenden Farbfiltern und Retro-Spiltscreens zeitlich wie inhaltlich auf die Pop Art und insbesondere auf Andy Warhol als Urtyp des Medien-Pranksters verweist.

    Eine naheliegende Referenz, gerade angesichts von Kummers Background als Performance-Künstler und Punk, ist sicher auch die Situationistische Internationale und deren Versuch, die Grenze zwischen Kunst und Leben zu verwischen. Damit überzeugt Gimes‘ Dokumentation auf zwei Ebenen: Zum einen als medienhistorische Zeitgeist-Analyse, die Kummer als Repräsentant einer vergessen geglaubten radikalen, fratzenschneidenden Kunstauffassung zeigt – zum anderen als Porträt eines witzigen und ausgefuchsten Charismatikers, der sich sicher ins Fäustchen lacht, mit seinem höchst eigenem „Great Rock‘n‘Roll Swindle" zehn Jahre später immer noch Kasse zu machen.

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