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    Twixt - Virginias Geheimnis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Twixt - Virginias Geheimnis
    Von Andreas Staben

    Francis Ford Coppola hat einige der berühmtesten Filme der Kinogeschichte gedreht, doch im neuen Jahrtausend steht eher seine Tochter Sofia im Rampenlicht. Während sie einen Oscar („Lost in Translation") und den Goldenen Löwen in Venedig („Somewhere") gewonnen hat, legte der Vater nach der Arbeit an „Apocalypse Now Redux" 2001 eine lange Schaffenspause ein. Der Schöpfer der „Pate"-Trilogie kehrte erst sechs Jahre später auf den Regiestuhl zurück und hat sich seither als ambitionierter unabhängiger Kunstfilmer im digitalen Zeitalter wieder einmal neu erfunden. Mit dem philosophischen Drama „Jugend ohne Jugend" und der opernhaften Familiengeschichte „Tetro" entdeckte er nicht nur die Vorzüge hochauflösender Video-Technik, sondern auch die Freiheit des Filmemachens ohne den Ballast einer Hollywood-Studioproduktion. Mit seiner Gothic-Horror-Noir-Thriller-Farce „Twixt - Virginias Geheinmis" bleibt er weiter auf diesem Pfad und mischt Elemente verschiedener Genres zu einem zutiefst persönlichen Werk von eigenwilliger Schönheit.

    Einst hat Hall Baltimore (Val Kilmer) einige recht erfolgreiche Hexenromane geschrieben, doch inzwischen ist er ein abgehalfterter Autor mit Alkoholproblem. Zu einer Signierstunde für sein neuestes Buch verschlägt es ihn in das kalifornische Nest Swann Valley. Der einzige, der dort Interesse an ihm und an seinem Schaffen zeigt, ist der örtliche Sheriff Bobby LaGrange (Bruce Dern). Der etwas merkwürdige Polizist schlägt Hall vor, gemeinsam ein Buch zu schreiben und zeigt ihm die Leiche eines kürzlich mit einem Holzpflock ermordeten Mädchens. Bobby hat die Goth-Motorradgang des charismatischen Flamingo (Alden Ehrenreich) im Verdacht, die sich an einem nahegelegenen See herumtreibt. Doch dann begegnet Hall im Traum nicht nur Edgar Allan Poe (Ben Chaplin), sondern auch einem in strahlendes Weiß getauchten, bleichen Mädchen mit Vampirzähnen namens Virginia (Elle Fanning) und Bobbys finstere Mordgeschichten erscheinen in einem anderen Licht. Der Schriftsteller lässt sich schließlich auf den Buchdeal mit dem Sheriff ein und gerät immer tiefer in den Sog des Ortes und seiner Geheimnisse. Gleichzeitig ringt er um das Ende für seinen Roman...

    Der Titel „Twixt" ist eine alte Kurzform von „between" und könnte trotz seiner relativen Obskurität nicht programmatischer sein, schließlich interessiert sich Coppola besonders für die Übergänge und Grenzen zwischen den Dingen, etwa zwischen Fiktion, Traum und Erinnerung, zwischen konventioneller Horrorstory und künstlerischer Reflexion des Schaffensprozesses, zwischen Leben und Tod, Tag und Nacht. So sind große Teile der Handlung direkt einem Traum entsprungen, den der Filmemacher vor einigen Jahren in Istanbul hatte und konsequenterweise hat der ganze Film einen unwirklichen Touch. Das heruntergekommene Örtchen Swann Valley (die Namensanspielung auf Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist kein Zufall), das mit einem launig-raunenden Off-Kommentar von Tom Waits („Short Cuts") vorgestellt wird, wirkt nicht nur wie aus der Zeit gefallen, sondern ist es tatsächlich: Auf dem siebenseitigen Kirchturm zeigen die sieben Uhren immer völlig Unterschiedliches an, die Zeit ist hier keine verlässliche Größe. Damit behandelt Coppola erneut eines seiner Lieblingsthemen, siedelt seine Reflexion über Jugend und Vergänglichkeit aber dieses Mal im vertrauten Terrain des Genre-Kinos an.

    Ein Autor, der zu viel trinkt und in der Schaffenskrise steckt, ein herrischer Polizist mit fragwürdigen Ansichten und Methoden, ein verlassenes Hotel, in dem eine schreckliche Mordtat geschah, ein albtraumhaft schwarzer Wald, Vampire (fast 20 Jahre nach „Bram Stoker's Dracula"), Massenmörder und Gurus: Coppola setzt sich mit diesem Sammelsurium aus Figuren, Motiven und Stimmungen gewissermaßen zwischen alle Genre-Stühle vom Film noir über den Horror-Thriller bis zur galligen Farce. Die dramaturgischen Konventionen des Erzählkinos macht er dabei indes direkt zum Thema und wirft sie zugleich zum großen Teil über den Haufen, um einer Traum-Logik zu folgen. Die Krimielemente sind reine Kolportage, die Figuren bleiben Karikaturen (der Sheriff), Vignetten (Flamingo) oder Erscheinungen und Projektionen (Virginia, Poe). Fast ist es, als wollte Coppola die alten Zeiten wiederbeleben, als er in der B-Movie-Schmiede von Roger Corman („Der Rabe") seine ersten Schritte im Filmgeschäft machte. Doch auch wenn sein Film für nur sieben Millionen Dollar im Umkreis von 100 km um das eigene Haus gedreht wurde und einige Szenen sogar in Coppolas Garten entstanden, geht es hier nicht in erster Linie um einen etwas trashigen Nostalgietrip, sondern um eine Reise ins Herz der Finsternis.

    Der aufgeschwemmte Val Kilmer („Heat") scheint zuweilen regelrecht Marlon Brandos Colonel Kurtz aus „Apocalypse Now" zu imitieren, zugleich ist sein Hall Baltimore unübersehbar auch ein Alter ego von Coppola selbst und im Zentrum der gelegentlich dubiosen erzählerischen Machenschaften steht die Konfrontation mit einem verdrängten persönlichen Trauma. Da ist der Edgar Allan Poe, den wir hier sehen, dann auch kein wirklich überzeugendes Porträt des berühmten Dichters, sondern ein von Baltimore (Poes Todesstadt) herbeiimaginierter Ratgeber in Fragen literarischer Struktur - und ein Leidensgenosse. So wie Poe den Tod seiner jungen Frau Virginia nicht verwinden kann, so leidet Hall unter dem Verlust seiner Tochter Vickie und wenn er schließlich auf dem finalen Höhepunkt dem Unglück und seiner Verantwortung buchstäblich ins Gesicht sieht, bekommt das durch die Kenntnis von Coppolas Familiengeschichte eine zusätzliche Resonanz. Denn der Regisseur hat während der Dreharbeiten zu „Der steinerne Garten" 1986 ebenfalls ein Kind durch einen Bootsunfall verloren und nennt den verstorbenen Sohn im Abspann als „künstlerischen Berater". So bekommt das vermeintlich willkürliche Mischmasch eine intime Dimension und zeigt, wie weit Coppola auf seinem Weg zu einem wirklich freien und persönlichen Kino bereits gekommen ist.

    Dabei ist „Twixt" keineswegs eine todernste Kopfsache, sondern in erster Linie ein geradezu spielerisches sinnliches Erlebnis. Erlesen sind die expressiven monochromatischen Traumbilder von Mihaj Malamare Jr. („The Master"), die mit vereinzelten Farbtupfern nicht nur an handkolorierte Stummfilme, sondern auch an Coppolas „Rumble Fish" erinnern, dazu ist die sterbensblasse Elle Fanning („Somewhere", „Super 8") mit Zahnspange und roten Wangen eine unvergessliche Verkörperung verlorener Jugend. Wenn Val Kilmer den Kirchturm mit den sieben Uhren hinaufsteigt, dann erhält seine Albtraumwelt außerhalb von Zeit und Raum einen besonders berückenden Ausdruck. Dies ist auch eine von zwei Szenen, die Coppola in 3D gedreht hat (der Zuschauer bekommt durch eine eingeblendete Brille vorher das Signal, dass es gleich soweit ist). Das mag letztlich nicht mehr als ein Gimmick sein, denn es fügt dem Film nichts Wesentliches hinzu, aber es zeigt auch, dass Coppola jederzeit zu Experimenten bereit ist – vielleicht findet er eines Tages auch noch einen Weg, den Film in einer „interaktiven" Fassung zu präsentieren, die er hier schon getestet hattet. Je nach Zuschauerreaktion wird dann „live" die Länge und die Reihenfolge von Szenen variiert – wie ein Konzert soll das Kinoerlebnis dann eine einmalige, nicht wiederholbare Sache sein.

    Fazit: Der Regisseur von „Der Pate" hat einen seiner Träume verfilmt. Das Ergebnis ist ein faszinierender selbsttherapeutischer Autorenfilm im fadenscheinigen Genre-Gewand eines Horror-Thrillers.

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