Japanische Animationsfilme sind anscheinend in jedem Genre zu Hause. Ob Science Fiction, Fantasy, Drama, Komödie oder Western... alles ist denkbar. So verwundert es auch nicht wirklich, dass Regisseur Satoshi Kon für seinen Psycho-Thriller „Perfect Blue“ nicht eine Realfilm- sondern eine Animationsumsetzung wählte. Er entschied sich dabei allerdings für einen sehr realitätsnahen Animationsstil, der mit sehr detailreichen Hintergründen aufwartet. Außerdem fiel die Entscheidung auf ein Charakterdesign, das sich über jegliche Schönheits- oder Verniedlichungsraster hinwegsetzt und einen minimalistischen Charakter trägt. Die Verlorenheit der Charaktere im realen Alltag wird dadurch auch optisch erfahrbar. Der amerikanische Filmproduzent Roger Corman ließ sich nach der Sichtung des Films zu der Aussage hinreißen, dass, wenn Alfred Hitchcock und Walt Disney zusammengearbeitet hätten, wohl „Perfect Blue“ dabei herausgekommen wäre. Ohne Zweifel sind inhaltliche Parallelen zu Hitchcocks Werk Vertigo gegeben, aber mit Disney hat dieser stellenweise sehr brutale Film nur das Stichwort Animation gemein.
Mima Kirigoe, Sängerin der mäßig erfolgreichen Girlgroup „Cham“, entschließt sich, auf das Anraten ihres Agenten hin, der Musikbranche den Rücken zu kehren und sich als Schauspielerin zu versuchen. Sie bekommt eine Rolle in einer TV-Serie, die ihrem bis dato kindlich unschuldigem Bild in der Öffentlichkeit gänzlich entgegenläuft, was ihrer Managerin Rumi, die selbst einst von einer Musikkarriere träumte und scheiterte, und natürlich ihren Fans missfällt. Sie wünschen sich die alte Mima im rosa Kostüm zurück. Wegen ihren Schuldgefühlen den früheren Bandmitgliedern gegenüber ohnehin verunsichert und durch die neuen Anforderungen von Selbstzweifeln geplagt, scheint Mima zu allem Übel auch noch von einem fanatischen Fan verfolgt zu werden, dessen unheilvolles Grinsen sie immer wieder vor sich sieht. Schließlich wird die erste Person, die mit ihr im Zusammenhang steht, ermordet...
„Perfect Blue“ beginnt sehr harmlos und in gemächlichem Tempo, gewinnt dann aber zunehmend an Fahrt und steuert zielstrebig zur überraschenden Auflösung hin. Anfangs scheint alles auf den unheimlichen Stalker, der von Mima mehr als besessen ist, hinauszulaufen, doch es ist nicht alles so einfach, wie es scheint. Mit ihrer Serienrolle tritt Mima ihr sauberes Pop-Image mit Füßen. Sie spielt eine Stripperin in einem Nachtclub, stimmt einer qualvollen Vergewaltigungsszene zu und lässt sich zu PR-Zwecken sogar hüllenlos ablichten. Mima belastet diese Rolle, das völlige Umkrempeln ihres Auftretens in der Öffentlichkeit, psychisch sehr stark. Sie befindet sich in einer Identitätskrise, fühlt sich schmutzig und sieht sich mit ihrem geisterhaften Alter Ego konfrontiert, der früheren Mima, die noch immer im blitzsauberen Kleidchen daherschwebt und sie für ihren moralischen Niedergang grausam verlacht.
Ihre ehemalige Popstaridentität beginnt sich zu verselbstständigen, sie weiß nicht mehr, wer sie ist, und ob es nicht vielleicht nur noch das mediale Bild von ihr ist, das die eigentliche, die selbstständige Existenz führt. Der beginnende Realitätsverlust wird effektvoll dadurch verstärkt, dass Mima in der TV-Serie auch noch eine junge Frau mit Persönlichkeitsspaltung verkörpert. Mit dem Film-im-Film, Mimas Gedankenwelt und der eigentlichen Realität bilden sich drei Realitätsebenen heraus, die sich mehr und mehr vermischen. In den schnellen Schnitten wird Mimas Verwirrung hinsichtlich Fiktion und Realität deutlich. In einer Sequenz schreckt sie mehrere Szenen hintereinander in ihrem Bett auf, konfrontiert mit der neuesten Realität. Mima findet verstört ihre Fische tot im Aquarium auf, doch später leben sie wieder. Hat sie völlig den Verstand verloren? Ist sie am Ende gar selbst zur Mörderin geworden?
Durch das erhöhte Tempo und die schnell aufeinander folgenden Einzelszenen steigt die Spannung im zweiten Teil kontinuierlich an. Der Zuschauer kann selbst nicht mehr genau zuordnen, ob es sich um die Realität, Wahnvorstellungen, Mimas Rolle als Schauspielerin oder einen Traum handelt. Zwar bietet der Film letztlich eine ansprechende und verstörende Auflösung, doch bei einigen Bildfolgen fragt man sich im Nachhinein doch, ob die innere Logik hundertprozentig gewahrt worden ist.
Animationstechnisch bewegt sich „Perfect Blue“ insgesamt nur auf durchschnittlichem Niveau, allerdings ist dies nachvollziehbar, war doch bei Produktionsstart erst einmal nur an eine Direct-to-Video-Vermarktung gedacht worden. Hervorzuheben sind die sehr gute Schnitttechnik und Szeneninszenierung. Die musikalische Untermalung lässt sich am besten in zwei Kategorien unterteilen, einmal die psychedelische Hintergrundmusik, die Thrilleratmosphäre aufkommen lässt, und dazu im starken Kontrast die Songs von Mimas ehemaliger Dreierkombo „Champ“, bei denen es sich um JPop von der Stange handelt. Wobei selbst diese Musik der Fröhlichkeit in einer Szene geschickt zur Erzeugung einer angespannten Stimmung genutzt wird. „Perfect Blue“ ist ein interessanter, beklemmender Psycho-Thriller, ein freier Fall in die Verflechtung von Realität, Fiktion und Traum, der die Personenikonisierung und mediale Identitätszuweisung in unserer Unterhaltungsgesellschaft kritisiert.