Theater, Literatur, Kino... diese Kunstformen sind sich allesamt ähnlich und doch im Detail so verschieden. Regisseur Alain Resnais („Das Leben ist ein Chanson") macht sich in seinem experimentellen Drama „Ihr werdet euch noch wundern" daran, diese drei künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu verbinden sowie ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erforschen. Das gelingt ihm zwar auf der formalen Ebene durchaus, aber inhaltlich ist seine Versuchsanordnung deutlich zu klinisch geraten. Und so verbinden sich die verschiedenen Elemente trotz eines beeindruckenden Staraufgebots mit lauter Größen der französischen Schauspielzunft eben nicht zu einem einzigen großen (Kunst-)Werk.
Eine Gruppe von renommierten Schauspielern, darunter Lambert Wilson, Mathieu Amalric, Sabine Azéma, Michel Piccoli, Hippolyte Girardot und Anne Consigny, erhält ein mysteriöses Schreiben: Ihr geschätzter Freund, der Theaterautor Antoine d'Anthac (Denis Podalydès), sei verstorben und habe ein Testament hinterlassen, was die insgesamt 13 Personen direkt betreffe. Kurz vor dem Tod des Stückeschreibers war nämlich die junge Theatergruppe La Compagnie de la Colombe mit der Bitte an ihn herangetreten, sein berühmtes Stück „Eurydice" aufführen zu dürfen. Um d‘Anthac zu überzeugen, reichten die Macher die Videoaufnahmen der Proben ein. Und genau die sollen die Schauspielerfreunde des Verstorbenen nun in vertrauter Runde in einem abgelegenen Berghaus auf ihre Qualität prüfen und stellvertretend für den Verblichenen das Okay für die Aufführung geben – oder eben nicht. Doch schon bald beginnen die Schauspieler mitzugehen und in ihre alten Rollen zu schlüpfen, denn jeder einzelne von ihnen hat in der Vergangenheit schon einmal mit „Eurydice" auf der Bühne gestanden...
Mit „Ihr werdet euch noch wundern" nimmt Alain Resnais zum fünften Mal in seiner langen Karriere am Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes teil, und der Altmeister zeigt ein weiteres Mal den von ihm gewohnten künstlerischen Ideenreichtum. Schon mit seinen ersten Langfilmen „Hiroshima, mon amour" und „Letztes Jahr In Marienbad" hatte er sich als einer der wichtigsten modernen Filmemacher etabliert, unermüdlich hinterfragte er von Beginn an narrative Regeln und stellte sie auf den Kopf, auch den Unterschieden zwischen den Erzählmedien gewann er in Werken wie „Das Leben ist ein Roman" oder „Smoking/No Smoking" immer wieder neue Facetten ab. Thematisch fügt sich „Ihr werdet euch noch wundern" damit perfekt in das Gesamtwerk des Autorenfilmers. Doch die fast spielerische Leichtigkeit einiger der älteren Filme fehlt hier fast komplett. Die Umsetzung ist oft steif und hölzern, so erscheint das Ganze recht bemüht und fragmentarisch.
Nie wird aus „Ihr werdet euch noch wundern" ein homogenes Leinwanderlebnis, worum es Resnais aber auch erkennbar nicht geht. Die sperrige Erzählweise führt hier allerdings nicht unbedingt zu einem Erkenntnisgewinn, vielmehr variiert Resnais seine altbekannten Themen auf eher ermüdende Art. Immerhin ist sein Kniff, Jean Anouilhs Theaterstück „Eurydice" im Film einfach einem fiktiven Dramatiker namens Antoine d'Anthac zuzuschustern (womit wiederum der Bogen zu „Cher Antoine Ou L'Amour Raté", einem weiteren Werk Anouilhs geschlagen wird) clever und durchaus kühn. Auf einer weiteren Ebene fügt Resnais die realen Schauspielstars hinzu, die als sie selbst auftreten, aber dann doch wieder Fiktionales spielen. Gerade aus dieser Konstellation schlägt der Regisseur allerdings erstaunlich wenig Funken. Die Interaktion zwischen den Probeaufnahmen der jungen Theatertruppe und den alten Schauspielrecken, die zunächst nur zuschauen und sich dann zaghaft einspielen, gibt Resnais schnell auf und überlässt den Stars die Bühne.
Im Verlauf des Films nehmen die Kunstgriffe überhand und die Künstlichkeit dominiert. Da werden willkürlich Traumkulissen hinzugefügt und durch den Umstand, dass einige Schauspieler dieselben Rollen innehaben, kommt es nicht selten zu Dopplungen der Dialoge, wobei die Darsteller allesamt den gleichen getragenen Tonfall anschlagen. Das mag einige interessante Fragen nach der Individualität der künstlerischen Interpretation streifen, aber aus dem abstrakten Konstrukt wird kaum einmal lebendiges Schauspiel. Während etwa Lars von Triers „Dogville" in drei Kino-Stunden auf einer leeren Theaterbühne unglaubliche Dynamik entwickelt, bleibt Resnais‘ Film bis zur mit lautem Fanfaren-Getöse angekündigten späten Wendung eine reine Kopfgeburt.
Fazit: Autorenfilmer Alain Resnais bleibt mit seinem schwerfälligen Kunstprodukt „Ihr werdet euch noch wundern" seinen lebenslangen Themen und Fragestellungen treu, aber seine neuesten, grundsätzlich durchaus spannenden Variationen über das Theater und das Kino sowie über das Schauspiel und das Erzählen im allgemeinen bleiben im abstrakten Ansatz hängen.