„Meek's Cutoff" ist die dritte gemeinsame Arbeit von Drehbuchautor Jonathan Raymond und Regisseurin Kelly Reichardt. In „Old Joy" reisen zwei Jugendfreunde, die inzwischen unterschiedliche Wege gegangen sind, in die Natur und in „Wendy and Lucy" macht sich die von Michelle Williams gespielte Wendy auf in den Norden, um dort einen Job zu finden. Beide Filme sind im weiten Sinne Road Movies, vor allem sind sie aber sensible Porträts und hellsichtige Zustandsbeschreibungen des heutigen Amerika. Mit „Meek's Cutoff" knüpfen Reichardt und Raymond nun an diese Kunst der Beobachtung an, so dass der Film gewissermaßen als Teil einer Trilogie begriffen werden kann. Diesmal begibt sich das Duo allerdings ein ganzes Stück zurück in die Vergangenheit, in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als Siedler mit Planwagen nach Westen zogen. Aber auch in „Meek's Cutoff" geht es um eine Reise und auch mit diesem stillen Drama im Westerngewand gelingt den Filmemachern ein grandioses Bild amerikanischer Wirklichkeit und Befindlichkeit.
Ein Siedler-Treck bestehend aus drei Familien und dem von ihnen angeheuerten Scout Stephen Meek (Bruce Greenwood) zieht durch den Wilden Westen. Da Meek behauptet, eine Abkürzung zu kennen, verlässt man den Oregon Trail. Doch nach Tagen ohne Wasserquelle zweifelt die Gruppe immer mehr an den Fähigkeiten ihres angeblich so erfahrenen Führers. Weitere Unruhe entsteht, als Emily (Michelle Williams) einen Indianer (Rod Rondeaux) sichtet. Kurze Zeit später gelingt es Emilys Ehemann Solomon (Will Patton) gemeinsam mit Meek den Indianer zu fangen. Während der Scout die Rothaut sofort töten will, ist Solomon überzeugt, dass der Eingeborene, der körperlich in bester Verfassung ist, obwohl er alleine und zu Fuß in dieser Einöde unterwegs ist, ihnen helfen kann: Der Indianer müsste wissen, wo Wasser zu finden ist. Doch auch unter neuer Führung verbessert sich die Lage der Gruppe nicht, es gibt weitere Rückschläge und die Wasservorräte werden immer knapper. In dieser Krisensituation liegt die nervöse Millie (Zoe Kazan) ihrem Mann Thomas (Paul Dano) in den Ohren, dass der Indianer sie doch sicher nur in einen Hinterhalt locken wolle...
Die klassischen Zutaten eines Western sind allen Zuschauern bekannt und haben die Erwartungen an das Genre fest geprägt: Es gibt Cowboys, meist auch Indianer, Helden reiten der Sonne entgegen, hitzige Feuergefechte fordern viele Tote, ein ganzer Kerl wie John Wayne führt schließlich die gute Seite zum Sieg und am Ende erzählt man sich seine (Helden-)Taten am Lagerfeuer. Frauenfiguren kommen dabei meist nur als Amüsierdamen in einschlägigen Saloons vor. Raymond und Reichardt unterlaufen dieses Schema konsequent. Ihr Western orientiert sich nicht an der Filmgeschichte, sondern an der historischen Wirklichkeit. So wie es hier geschildert wird, mag der Weg nach Westen für die Siedler tatsächlich gewesen sein: Das Nichts einer schier unendlichen Weite, Sand und Dürre soweit das Auge reicht. Dazu eine kaum erträgliche Stille, die das Nichts umgibt - schwierigste Umstände, in denen Frauen sehr wohl eine gewichtige Rolle spielen.
Schon in den ersten Minuten von „Meek's Cutoff" wird klar, dass Reichardt keiner gängigen Handlungsdramaturgie folgt. Die Mitglieder des Trecks, drei Männer, drei Frauen, ein Kind, gehen ihren alltäglichen Arbeiten nach: Es wird Holz fürs Feuer gesammelt, die Wagen werden in Schuss gehalten und die Tiere versorgt. Jeder Handgriff sitzt, jeder weiß, was er zu tun hat. Die Arbeit bedarf keiner Worte, denn jeder macht denselben Job Tag für Tag. Indem sie diese in aller Stille ablaufende Routine immer und immer wieder zeigt, verdeutlicht Reichardt die Monotonie des Siedlerdaseins und fordert damit natürlich die Geduld des Zuschauers. „Meek's Cutoff" kann durchaus anstrengend anzuschauen sein, aber gerade durch die Wiederholungen und Längen prägt sich das Bild dieser harten Arbeit in der unwirtlichen Einöde umso nachdrücklicher ein.
Auch nachdem der Treck mit dem Indianer zusammentrifft, wechseln Raymond und Reichardt nicht auf die gängige Westernschiene, „Meek's Cutoff" bleibt vielmehr weiterhin ein ruhiges Drama, in dem das Porträt der Protagonisten in ihrem Alltag im Zentrum steht. Statt auf Action - nur ganze zwei Gewehrschüsse fallen in „Meek's Cutoff" und beide dienen weder dem Kampf noch der Jagd – wird auf innere Spannung gesetzt. Sorgfältig werden die Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern untereinander unter die Lupe genommen. Da sind einmal die drei Familien und dazu kommen zwei Außenseiter - der weiße Scout, der seine rassistische Haltung nicht verbirgt, und der Indianer, der undurchsichtig bleibt und mit dem aufgrund der Sprachbarriere keine Kommunikation möglich ist. Die feinen Risse im Gefüge und die unterschwelligen Gefühle sind es, die Reichardt interessieren und die sie hervorragend herausarbeitet.
Die Wiederholung ist für Kelly Reichardt bei der Darstellung der routinemäßigen Abläufe nicht nur eine inhaltliche Maxime. Auch einige Bildkompositionen sind immer wieder zu sehen, mit denen sie die scheinbar festen Strukturen innerhalb der Gruppe visuell verdeutlicht. Die beiden Scouts reiten oder laufen vorweg. Die drei von Ochsen gezogenen Planwagen folgen in breiter Linie, die Männer jeweils zu Fuß an der Seite der Tiere. Die drei Frauen gehen in einigem Abstand dahinter. Die Rollen sind klar verteilt, so stehen auch immer, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die Männer beisammen, während die Frauen in einigem Abstand darüber spekulieren, was jetzt beschlossen werden könnte. Doch je prekärer die Lage wird, desto mehr bricht diese Rollenverteilung auf. Es ist nicht Thomas, der gegen den Indianer vorgehen will, sondern seine Frau Millie. Und es ist schließlich die von der in ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Reichardt erneut großartigen Michelle Williams („Brokeback Mountain", „Shutter Island") gespielte Emily, die das Heft des Handelns übernimmt.
Fazit: Nach „Old Joy" und „Wendy and Lucy" liefert Kelly Reichardt ein weiteres Independent-Meisterwerk. Ihr Western ist harte Kost, die sich aber lohnt: Ein detailliert gezeichnetes Bild einer Landschaft, in der selbst ein Goldfund nichts wert ist, solange man kein Wasser hat. Und er ist ein über weite Strecken wortloses, aber ungemein dichtes, genau beobachtetes Porträt der in dieser Landschaft um das Überleben kämpfenden Menschen und ihres harten Alltags.