Die beiden Künstler Stefan Hayn und Anja Christin Remmert zeichnen seit 1995 Aquarelle von Wahl- und Werbeplakaten in den Straßen Berlins, inspiriert von den Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg, die – um das Fotografierverbot der Alliierten zu umgehen – die zerbombten Städte ebenfalls in Aquarellen festhielten. Damit geben sie den industriell gefertigten und meist am Monitor designten Plakaten eine persönliche Note zurück, die sie am Straßenrand nur allzu oft verlieren. Da die beiden Maler sich auch als Regisseure verstehen, ist es nicht verwunderlich, dass sie ihre gesammelten Werke in einer Dokumentation präsentieren. „Malerei heute“ besteht zu über 90 Prozent aus den abgefilmten Bildern der beiden, welche die beiden Künstler kommentieren.
Hayn und Remmert ordnen die Plakate in ihren gesellschafts-politischen Zusammenhang ein oder erzählen kleine Anekdoten, die sie mit der Entstehung der Aquarelle verbinden. Etwa die Episode in der U-Bahn-Station, als Hayn am Boden sitzend für einen Obdachlosen gehalten wurde und den Bahnhof nach dem Anrücken der Polizei verlassen musste. Oder die Reaktionen der Passanten, die von Bewunderung der Treue zum Original bis zu wütender Fassungslosigkeit reichen, warum man so blöd sein könne Werbeplakate abzuzeichnen. Ein Kind fragte Hayn, warum er nicht einfach ein Foto von dem Motiv mache, das wäre doch viel einfacher. Theoretisch hat das Kind da natürlich recht, aber den Künstlern kommt es eher darauf an, die Kunstproduktion der heutigen Zeit aus den Industriehallen zurück zum Individuum zu holen, also der Kunst wieder eine persönliche Handschrift zu geben.
In „Malerei heute“ zeigen Hayn und Remmert Aquarelle, die zwischen 1995 und 2005 entstanden, wodurch die Dokumentation eine kleine Zeitreise durch die junge deutsche Vergangenheit wird, die anhand von Plakaten aufgezeigt wird. Es ist interessant zu sehen, wie sensibel Werbeplakate auf gesellschaftliche und politische Befindlichkeiten reagieren, sie teilweise sogar vorhersehen. Der politische Wechsel zu Gerard Schröder und der SPD, der Berliner Bankenskandal, der 11. September – alles wird in Straßenplakaten reflektiert. Stefan Hayn sagt sogar einmal, dass auf den Werbeplakaten alles zu sehen ist, „was es heute in der Welt gibt“. Und damit hat er nicht ganz Unrecht.
Leider ist der Film in keiner Weise innovativ umgesetzt und erinnert mit seiner altmodischen Machart an alte Videos aus den späten Siebzigern, die der Lehrer früher der Schulklasse präsentiert hat oder die heute spät nachts auf den Dritten platziert werden. Da auch die beiden Erzählerstimmen – nämlich die der beiden Künstler – nicht gerade in mitreißenden Tonlagen sprechen, fühlen sich die 60 Minuten Laufzeit deutlich länger an. Die eingespielte Violinmusik tut ihr übriges. Sicherlich bietet sich für das Thema eine altmodische und schlichte Machart an, ein bisschen mehr Unterhaltungswert auf der gestalterischen Ebene hätte „Malerei heute“ aber durchaus gut getan.
Trotzdem: Dank der interessanten Dialektik zwischen gesellschaftlichen Phänomenen und den Plakaten der jeweiligen Zeit und den kleinen Anekdoten von der Straße, die ganz nebenbei eine Gesellschaft in Ansätzen porträtieren, lohnt das Sehen von „Malerei heute“ allemal. Der Unterhaltungswert spielt sich zwar fast ausschließlich auf der inhaltlichen Ebene ab, aber eins bleibt dem Zuschauer erhalten: ein veränderter Blick auf die Werbeplakate, denen er nach dem Sehen von „Malerei heute“ definitiv einen anderen Stellenwert einräumt.