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    Die Einsamkeit der Primzahlen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Die Einsamkeit der Primzahlen
    Von Jan Görner

    Es war der berühmte deutsche Mathematiker Leopold Kronecker, der sagte, dass Mathematiker die wahren Dichter seien. Allein mit dem Unterschied, dass sie ihre Fantasien auch beweisen müssten. In seinem Roman-Debüt „Die Einsamkeit der Primzahlen" von 2008 stellte der italienische Teilchenphysiker Paolo Giordano mit gerade einmal 26 Jahren unter Beweis, wie spielerisch Fiktion und Naturwissenschaft zur tiefgründigen Erzählungen verwoben werden können. Dass die gleichnamige Bestseller-Verfilmung von Saverio Costanzo („Private") wegen ihrer eigenen Formelhaftigkeit nicht über das Mittelmaß hinaus kommt, fällt da umso negativer auf.

    Seit einem von ihrem ehrgeizigen Vater verschuldeten Skiunfall humpelt die junge Alice (Arianna Nastro). Von ihren Mitschülern als „Hinkebein" verspottet, entwickelt das junge Mädchen eine Essstörung. Der zermürbende Schulalltag, ein gestörtes Verhältnis zu den uneinsichtigen Eltern und ihre eigene Kontaktscheue haben Alice in die Isolation getrieben. Bei Viola (Aurora Ruffino) jedoch wandelt sich Verachtung in Mitleid und eine ungleiche Freundschaft wächst heran. Viola überredet Alice, auf eine Party mitzugehen. Als Begleiter guckt sie sich den verschlossenen Mattia (Vittorio Lomartire) aus. Auch der mathematisch hochbegabte Einzelgänger leidet unter einem Kindheitstrauma. Auf der Feier öffnen sich die beiden einander. Eifersüchtig lässt Viola Alice daraufhin fallen. Zehn Jahre später sind Alice (Alba Rohrwacher) und Mattia (Luca Marinelli) noch immer ein Paar und doch wissen sie fast nichts von einander. Sie arbeitet als Fotografin, er ist Physik-Doktorand. Bevor Mattia eine Forschungsstelle in Deutschland annimmt, besucht das Paar Violas Hochzeit. Dort erfährt sie endlich von seinem Geheimnis...

    Die Narben einer Biographie zu inspizieren, das ist der Auftrag von Regisseur Saverio Costanzo. Über vier prägende Lebensabschnitte folgt er seinen Figuren abwechselnd durch drei Dekaden und nähert sich vorsichtig dem Ursprung ihrer seelischen Qualen an. Dabei werden die auch visuell distinguierten Ebenen so elegant miteinander verwoben, dass „Die Einsamkeit der Primzahlen" nie ins Episodische abdriftet. Leider hat Saverio Costanzo, mit Roman-Autor Giordano für das Drehbuch verantwortlich, an anderer Stelle mit dem Stoff zu kämpfen. Die komplexen Szenen, in denen die Traumata der Figuren rekonstruiert werden, sind zwar sensibel inszeniert, fallen im Verlauf des Films aber immer übertriebener aus: Allzu genüsslich zelebriert Costanzo jede Minute bis zu Auflösung, die aufmerksamen Zuschauern längst offenbar ist. Während das Publikum wartet, dass der Film aufschließt, wird es phasenweise recht langweilig. Das frustriert und untergräbt die Relevanz dieser ansonsten aufschlussreichen Sequenzen. Costanzo bevorzugt die große Geste. Das Resultat: „Die Einsamkeit der Primzahlen" wirkt zu häufig einfach zu gewollt.

    Es liegt nicht an den Hauptdarstellern, dass „Die Einsamkeit der Primzahlen" nicht vollends überzeugt. Alba Rohrwacher („I Am Love") hat sich für den Film an die Grenze des medizinisch Vertretbaren gehungert. Dem zuvor unbekannten Luca Marinelli gelingt es, die emotionale Tragweite einer Szene nur über seine Augen zu vermitteln. Allein, die beiden bekommen einfach nicht viel zu tun. Sie zögern, sie schmachten und sie leiden und leiden: Figuren, die vor allem die Frage aufwerfen, wie sie an den Punkt gelangt sind, an dem sie sich befinden. Da hilft kaum weiter, dass das eigentliche Finale wie ein lauwarmer Epilog wirkt. In Sachen Zeitkolorit indes hat die italienisch-deutsch-französische Co-Produktion einiges zu bieten. Besonderen Anteil daran trägt die musikalische Allzweckwaffe Mike Patton („American Hardcore"), der als Komponist gewonnen werden konnte. Der Faith-No-More-Frontmann verwebt kunstvoll wummernden 90er Rave mit feinsinnigen Arrangements und beweist einmal mehr sein Genie.

    Für zufriedenes Schmunzeln indes sorgen Szenen, die deutlich werden lassen, woher Costanzo seine Inspiration bezieht. Er bedient sich der enormen Tiefenschärfe und der amberfarbenen Beleuchtung, um einen Hotelflur an Stanley Kubricks „Shining" gemahnen zu lassen. Aufnahmen, die in Mädchenumkleiden spielen, hat der Regisseur mit einem Augenzwinkern à la „Carrie" angelegt. Hier wird die hervorragende Arbeit seines erfahrenen Kameramanns Fabio Cianchetti besonders augenfällig. Für Filmfreunde sind diese Verweise ein Schmankerl, über die Schwächen können sie jedoch nicht hinwegtäuschen. „Die Einsamkeit der Primzahlen" ist ein Film wie ein Gletscher: eine monumentale, kalte Übung in Behäbigkeit. Ein geduldiges und psychologisch interessiertes Publikum dürfte an Costanzos Film durchaus Gefallen finden.

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