Dokumentarfilme werden gemeinhin als Medium der Informationsvermittlung und bestenfalls Horizonterweiterung rezipiert. Emotionalität hingegen scheint oft als Monopol der vagen Kategorie des fiktionalen Spielfilms begriffen zu werden. Mit bewegenden und formal grenzüberschreitenden Filmen wie etwa „Waltz with Bashir" verschiebt sich in jüngster Zeit jedoch auch die breitenwirksame Rezeption des Dokumentarischen. „Benda Bilili" von Renaud Barret und Florent de La Tullaye dürfte diese Entwicklung weiter vorwärts treiben. Denn kaum jemand wird diese Dokumentation bloß grübelnd verlassen, sondern viel eher mitgerissen, glücklich – und tanzbereit. Der hoffnungsvollen Kraft und dem überwältigenden Optimismus der porträtierten, überwiegend aus Köperbehinderten bestehenden Straßenband Benda Bilili kann man sich nämlich kaum entziehen.
2004 reisten Barret und de La Tullaye nach Kinshasa, um eine TV-Dokumentation über Musiker aus dem Ghetto zu drehen. Die Gruppe Staff Benda Bilili weckte dabei im besonderen Maß das Interesse der beiden Filmemacher. Das lässt sich leicht nachvollziehen, strahlt die talentierte, von poliokranken Obdachlosen zusammengehaltene und ihren übergroßen Problemen dabei dennoch trotzende Band doch eine besondere Faszination aus. Die zwei französischen Dokumentarfilmer beschlossen, mit den Männern um Bandleader Léon „Ricky" Likabu ein Album aufzunehmen und darüber hinaus einen Film zu drehen. Sechs Jahre später war die Doku fertig. Sie ermöglicht den Blick auf eine Reise, die Staff Benda Bilili bis zur internationalen Bekanntheit geführt hat, Europatournee und Auszeichnung der World Music Expo inklusive.
Barret und de La Tullaye sehen ihr Werk nicht als Musikfilm. Die zwei haben mit dieser zugespitzten Aussage durchaus Recht, da der Fokus ihrer Dokumentation nicht auf der Musik ruht. Die Geschichte der wegen Behinderung und Armut doppelt marginalisierten Künstler ist viel zu stark, als dass die Musik davon losgelöst thematisiert werden könnte – wenn in „Benda Bilili" musiziert wird, dann schwingt immer eine Aussage mit. Musik ist Ausdruck und Projektionsfläche der Hoffnungen und Erfahrungen, ist Aufstiegschance und Quelle von Lebensfreude. Aufputschend und mitreißend klingen die Songs, die Elemente der kongolesischen Rumba mit Rhythm'n'Blues und Reggae verbinden. Inhaltlich geht es um das harte Leben auf der Straße, oft ergänzt durch didaktische Schlenker („Mütter, lasst eure Kinder impfen!") und das Erinnern an ein essentielles Motto der Band: Es ist nie zu spät im Leben.
Als klassische Dokumentation geht „Benda Bilili" kaum durch. Das fängt damit an, dass sich die Männer hinter der Kamera nicht mit der reinen Beobachterposition zufriedengeben und stattdessen aktiv auf ihren dokumentierten Gegenstand, die Band, einwirken – nicht zuletzt auch finanziell. So tragen sie maßgeblich zum späteren, von einer Konzerttournee durch Europa gekrönten Erfolg der Band bei - während die dazu notwendige Bedingung freilich von den Mitgliedern selbst geschaffen wurde. Die Nähe zwischen Filmern und Gefilmten führt außerdem dazu, dass Staff Benda Bilis Aufstiegsgeschichte nicht im Nachhinein rekonstruiert werden musste.
Retrospektive Interviews waren damit überflüssig, denn die Kamera war bei den markanten Karriere-Wendepunkten ja direkt vor Ort bzw. kam sofort danach zum Einsatz. Dank dieser unmittelbaren Perspektive haftet dem Film eine Authentizität an, die einen großen Teil seiner Wirkung erklärt. Viel wurde bis hierhin über die Band selbst geschrieben. Wo ist die Qualität des Beitrags zu verorten, den Renaud Barret und Florent de La Tullaye in ihrer Funktion als Regisseure beisteuern? Ihre Leistung besteht darin, die Musiker konsequent in den Mittelpunkt zu stellen und auf diese Weise die thematische Überfrachtung der Dokumentation zu vermeiden. Immerhin, die beiden sind Kinshasa-Experten, die mit derzeit ihren bereits vierten Film über die gebeutelte kongolesische Hauptstadt drehen.
Die thematische Konzentration hat aber glücklicherweise nicht zur Folge, dass die Schattenseiten des Lebens in Kinshasa im überschwänglichen Optimismus der Truppe untergehen. Armut, Perspektivlosigkeit und Krankheit werden in die dokumentarische Erzählung integriert, bleiben stets untrennbar mit der Geschichte von Staff Benda Bilili verknüpft – und gewinnen doch nie die Oberhand. Dies erweist sich besonders in den Momenten, in denen der junge Roger seiner aus einer Dose gebastelten und bloß mit einer Saite ausgestatteten Ukulele trotz deren improvisierter Bauart erstklassige Musik entlockt. Mit diesen Szenen bringt sich der Film gleich selbst auf den Punkt: Die sensible Dokumentation „Benda Bilili" bewegt, weil es die Geschichte der gleichnamigen Band tut.