Jedes Jahr im Oktober wird in der peruanischen Hauptstadt Lima dem Señor de los Milagros, dem Gott der Wunder, in einer großen Prozession die Referenz erwiesen. Diese „purpurner Monat" genannte Zeit dient den beiden Brüdern Daniel Vega Vidal und Diego als vager Hintergrund und Ausgangspunkt für ihr in Cannes mit dem Jury-Preis in der Sektion [i]Un Certain Regard[/i] ausgezeichnetes gemeinsames Langfilmdebüt „Im Oktober werden Wunder wahr", in dem sich entsprechend zahlreiche religiöse Motive finden. Das Werk über das wundersame Zusammenfinden einiger verlorener Seelen ist aber kein katholisches Rührstück geworden, die von tiefer Menschlichkeit durchdrungene Tragikomödie zeichnet sich vielmehr durch einen klaren und lakonischen Blick auf die Einsamkeit ihrer Figuren aus.
Der Pfandleiher Clemente (Bruno Odar) führt ein zurückgezogenes Leben ohne Überraschungen, das im Wesentlichen aus Tauschgeschäften besteht. Selbst seine sexuellen Bedürfnisse stillt er, die Notwendigkeit des Geschlechtsaktes stoisch anerkennend, bei Prostituierten. Clementes eintöniges Dasein gerät ins Wanken, als eines Tages ein Säugling vor seiner Haustür abgestellt wird. Während er sich auf die Suche nach der Mutter begibt, die natürlich eine Prostituierte ist, engagiert er seine ebenfalls einsame Nachbarin Sofia (Gabriela Velásquez), die vorübergehend bei ihm einziehen soll, um das Kind gegen Bezahlung zu versorgen. Derweil entführt der alte Obdachlose Don Fico (Carlos Gassols) seine todkranke Freundin aus dem Krankenhaus. Da er nicht weiß, wohin er mit ihr gehen soll, schlägt er die Zelte zunächst bei seiner Bekannten Sofia in Clementes Wohnung auf, wo aus der Zufallsgemeinschaft schnell eine Zweckfamilie wird...
Daniel und Diego Vega Vidal erzählen ihre Geschichte mit großer Sparsamkeit und ohne jede Art von Pomp. So genügt ein Blick in die karge Wohnung Clementes, um dessen trostloses Leben begreifbar zu machen, und in einem einzigen Seitenblick Don Figos auf seine an den Rollstuhl gefesselte Freundin wird dessen bedingungslose Liebe deutlich. Dieser effektive Einsatz filmischer Ausdrucksmöglichkeiten und das Gespür für die kleinen Gesten sind besonders für ein Erstlingswerk beachtlich, wird doch in Kinodebüts oft eher geklotzt als gekleckert. Ein weiteres Beispiel für diese sparsame, aber wirkungsvolle Inszenierung ist die großartige Szene, in der Clemente mit einem Taxi von Bordell zu Bordell fährt, um die Mutter des Säuglings ausfindig zu machen. Ganz unaufgeregt und mit liebevoller Lakonie beobachten die Regisseure ihre Figur bei dieser Suche, die an einer verlassenen Straßenecke im Niemandsland endet – eine Kreuzung, die auf ganz direkte und dennoch rein bildhafte Art für die Verlassenheit des Protagonisten steht.
Während der Film formal recht ausgereift und zielsicher erscheint, fehlt diese Geschlossenheit auf der inhaltlichen Ebene mitunter. Die Frage etwa, warum Sofia sich ausgerechnet in den sperrigen Pfandleiher Clemente verliebt, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis der Regisseure, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnen. So ist „Im Oktober werden Wunder wahr" am gelungensten, wenn die Filmemacher in die Alltagsrealität Limas eintauchen. Momente wie jener, in dem Don Fico ganz verloren erscheint, während er über eine Autobahnbrücke wandert, bleiben im Gedächtnis haften. Und auch eine Einstellung von Sofia, die an der Prozession für den Gott der Wunder teilnimmt, prägt sich nachhaltig ein: Während die Gläubigen auf die Kamera zulaufen, bewegt sich die aufgewühlte Frau von links nach rechts durch das Bild. Ihre emotionale Verwirrung wird in dieser ebenso bewegten wie bewegenden, aber dennoch nicht aufdringlichen Aufnahme förmlich greifbar. Hier zeigt sich erneut die große Sensibilität der Vega Vidal-Brüder für das rein filmische Erzählen. Es ist vor allem dieses formale Geschick, das „Im Oktober werden Wunder wahr" zu einem vielversprechenden Debüt macht.