Das Moviemento in Berlin-Kreuzberg ist fast so alt wie das Kino selbst. 1907 fanden in dem Saal in der ersten Etage eines Eckhauses erstmals Filmvorführungen statt. Es war die Zeit, in der überall in Berlin, in Kneipen und in Lagerräumen, in ehemaligen Theatern und in früheren Wohnungen Kinosäle regelrecht aus dem Boden zu sprießen schienen, die, in der das Kino noch Kientopp hieß. Einer Legende zufolge soll diese Bezeichnung sogar vom ersten Besitzer des heutigen Moviemento herstammen, der mit Nachnamen Topp hieß. In den gut einhundert Jahren, die seither vergangen sind, hat das Kino immer wieder den Namen gewechselt und so manche Krise überstehen müssen. Nun ist es selbst zum Gegenstand eines Films geworden. Bernd Sobolla lässt in seiner Dokumentation „Auf der anderen Seite der Leinwand – 100 Jahre Moviemento" die Geschichte dieses außergewöhnlichen Kinos noch einmal Revue passieren. Sein Schwerpunkt liegt dabei allerdings ganz deutlich auf den vergangenen 40 Jahren, in denen es immer wieder deutsche Kino- und Filmgeschichte schreiben konnte.
Die Geschichte des heutigen Moviemento begann genau genommen allerdings tatsächlich erst in den frühen 70er Jahren, als Manfred Salzgeber das Bezirkskino, das damals Tali hieß und seit einigen Jahren nur noch Kung-Fu-Filme zeigte, übernahm und Schritt für Schritt in ein Programmkino verwandelte. In dieser Phase entwickelt sich das einzigartige Kino, in dem es einen Saal vor und einen kleineren hinter der Leinwand gab, erstmals zu einem Zentrum der Berliner Underground-Kultur. Zudem erhielt es eine Bühne, auf der in der Folgezeit Berliner und auch internationale schwul-lesbische Theatergruppen auftraten. Mittlerweile hatten Wieland Speck und Elser Maxwell die Leitung übernommen, später kam noch Blixa Bargeld dazu. Den ersten großen Einschnitt brachte dann „The Rocky Horror Picture Show", der in den anderen Berliner Kinos durchgefallen war, im Tali aber innerhalb kürzester Zeit Kultstatus erreichen sollte. Doch der Erfolg wurde zum Fluch, so dass das Kino schließlich wieder kurz vor dem Aus stand.
„Auf der anderen Seite der Leinwand" ist fast so etwas wie ein Who's Who der deutschen Filmszene der vergangenen drei oder vier Jahrzehnte. Neben den Kinomachern Wieland Speck, Elser Maxwell und Ingrid Schwibbe, die das Kino schließlich in Moviemento umbenannt hat, kommen auch Tom Tykwer, der dort jahrelang vorgeführt und das Programm mit gestaltet hat, Dani Levy, dessen Debüt „Du mich auch" der zweite Kultfilm dieses Kino wurde, Detlev Buck, Sylke Enders, Rosa von Praunheim und die beiden Reding-Brüder, Benjamin und Dominik, zu Wort. In diesen Interviews offenbart sich ein viel zu häufig übersehener Zusammenhang, an den zu erinnern in einer Zeit umso wichtiger ist, in der Filme mehr und mehr nur noch am heimischen Fernseher und Computer gesehen werden: Kinos können die Filmgeschichte durchaus prägen. Sie sind eben nicht nur die Orte, für die – wie es in einer Werbekampagne heißt – Filme gemacht werden. Sie können im Idealfall – und das Moviemento ist sicherlich ein solcher – zu Stätten eines künstlerischen Dialogs wie auch einer neuen ästhetischen Sensibilisierung werden, an denen Programmgestalter gemeinsam mit Filmemachern und nicht zuletzt dem Publikum an der Zukunft des Kinos arbeiten.
All die Gespräche über die großen Jahre dieses Kinos, über die wilden Zeiten in den 70ern und über die mittlerweile fast schon legendären Programme von Tom Tykwer, beschwören eine gewisse Wehmut herauf. Es passiert zwar immer noch sehr viel im Moviemento. Es ist, wie Sylke Enders versichert, auch heute noch so etwas wie heimischer Boden für die junge, künstlerisch ambitionierte Berliner Filmszene. Aber letztlich erzeugen die Erzählungen der Kino- wie der Filmemacher eine Sehnsucht nach dem Vergangenen – wie großartig muss es doch gewesen sein, das alles mitzuerleben. Angesichts dieser berauschenden Zeiten hätte dieses Kino allerdings auch einen etwas aufregenderen und mutigeren Film verdient gehabt.
In den Interview-Sequenzen macht Bernd Sobolla nichts falsch. Sie folgen dem typischen Muster, das unzählige Talking-Heads-Dokumentationen vorgegeben haben. Allerdings fehlt ihnen die Klarheit und Radikalität, die Alexander Kluges Arbeiten in diesem Genre auszeichnen. Doch wirklich kritisch wird es erst, wenn Sobolla von diesem Modell ein wenig abweicht – etwa in den kurzen inszenierten Zwischenspielen, in denen recht verkrampfte Darsteller die Interaktion von Kinobesuchern ziemlich steif nachahmen. Dann verlässt ihn wirklich jegliche Fortune. Diese Szenen sind so naiv wie einige seiner Off-Kommentare, die komplexe gesellschaftliche Prozesse auf Binsenweisheiten reduzieren.