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    Small World
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Small World
    Von Lars-Christian Daniels

    Ob nun Julia Jentsch als „Effi Briest", Johanna Wokalek als „Die Päpstin" oder auch Alexandra Neldel im TV-Quotenkracher „Die Wanderhure" – Romanverfilmungen genossen zuletzt vor allem in Kombination mit einer prominenten deutschen Hauptdarstellerin Hochkonjunktur. Ein günstiger Zeitpunkt also für den französischen Regisseur Bruno Chiche, der sich die Filmrechte an Martin Suters Bestseller „Small World" sicherte – dem Buch, das den ersten und erfolgreichsten Teil von Suters „neurologischer Trilogie" darstellt und weltweit fast eine Million Mal über die Ladentische ging. Für die weibliche Hauptrolle verpflichtete Chiche den deutsch-rumänischen Hollywood-Export Alexandra Maria Lara, die an der Seite des prächtig aufspielenden Altmeisters Gérard Depardieu erwartungsgemäß eine überzeugende Performance abliefert. Doch trotz der großartigen Besetzung versinkt das Familiendrama schnell im Mittelmaß, weil gleich mehrere Stärken der Romanvorlage getilgt und ausgerechnet die kleinen Schwächen des Buches konsequent übernommen werden.

    Eigentlich mit der Instandhaltung des Landhauses der millionenschweren Unternehmerfamilie Senn beauftragt, setzt der 60-jährige Konrad Lang (Gérard Depardieu) beim Anzünden des Kamins versehentlich das ganze Haus in Brand, in dem er seit Jahren Wohnrecht genießt. Aufgeregt macht er sich auf den Weg zu seiner Ziehfamilie, die ihn zuletzt auf Abstand gehalten hatte, obwohl ihm Familienoberhaupt Elvira Senn (Françoise Fabian) einst als Ersatzmutter diente und er fast jeden Tag seiner Kindheit mit ihrem Sohn Thomas (Niels Arestrup) verbrachte. Konrad platzt mitten in die glanzvolle Hochzeitsfeier von Elviras Enkel Phillippe (Yannick Renier) und der hübschen Simone (Alexandra Maria Lara), weist die Schuld am Brand aber energisch von sich. Weil niemand so recht weiß, wohin mit dem verwirrten alten Mann, steckt man ihn erst einmal in eine nahegelegene Wohnung. Doch Konrads Aussetzer häufen sich: Er verirrt sich im Supermarkt, findet nicht mehr nach Hause und lässt seine Brieftasche im Kühlschrank liegen. Während sich sein Kurzzeitgedächtnis von Tag zu Tag verschlechtert, kehren längst vergessene Kindheitserinnerungen, die Elvira sichtlich zu beunruhigen scheinen, plötzlich zurück. Dies weckt die Neugier von Simone, die Konrad kurzerhand im Gästehaus des mondänen Familienanwesens einquartiert...

    Der Schweizer Martin Suter, der bereits die Romanvorlage zu Alain Gsponers „Lila, Lila" und das Drehbuch zu Christoph Schaubs „Giulias Verschwinden" schrieb, stellt Regisseur und Drehbuchautor Bruno Chiche bei der Leinwandadaption vor ein grundsätzliches Dilemma. Der Schriftsteller gliedert „Small World" nämlich – ähnlich wie Bernhard Schlink seinen Welterfolg „Der Vorleser" – in zwei gleich lange Hauptteile und ignoriert so über weite Strecken dramaturgische Gesetzmäßigkeiten. Statt diese unkonventionelle Erzählstruktur auf zuschauerkompatibles Kinoformat zurechtzustutzen, entscheidet sich Chiche bei seiner Adaption des Bestsellers für die denkbar radikalste Maßnahme: Er streicht die erste Romanhälfte fast komplett und beginnt seine Geschichte an dem Zeitpunkt, an dem Konrad Lang bei den Senns auftaucht. Das funktioniert überraschend gut, offenbart aber auf den zweiten Blick auch einen erheblichen Nachteil: Konrads kurze Begegnung mit Thomas Senns Ex-Frau Elisabeth (Nathalie Baye) muss im Film als halbherziger Ersatz für die Liaison mit Rosemarie Haug herhalten, die im Buch ausgiebig illustriert wird und ein gutes Drittel der Handlung dominiert. Während die gravierenden Folgen der Alzheimererkrankung im Roman in ruhigem, einfühlsamem Tempo geschildert werden, spult der Film die fortschreitende Erkrankung fast im Zeitraffermodus ab. Ebenso auf der Strecke bleibt die Aufarbeitung von Konrads ungewöhnlicher Beziehung zur Familie Senn, die das einstige Pflegekind seit Jahr und Tag auf Abstand zu den Kreisen der oberen Zehntausend hält.

    Mit der unglücklich verheirateten Simone liefert Chiche dem Zuschauer dafür eine echte Identifikationsfigur, auf die der Romanleser noch verzichten musste. Er rückt die einsame Ehefrau, die sich in der snobistischen Familie als Außenseiterin fühlt und von ihrem Mann Phillippe schon nach wenigen Wochen Ehe betrogen wird, stärker ins Zentrum, ohne sich dabei allerdings von der oberflächlichen Skizzierung zu lösen, an der die Figur bereits in der literarischen Vorlage krankte. Phillippes Affäre und Simones Isolation innerhalb der dekadenten Sippe ist als Begründung für ihr brennendes Interesse an Konrads Schicksal vom Zuschauer nie ganz nachzuvollziehen. Alexandra Maria Lara („Control") spielt als einzige nicht-französische Schauspielerin des Films zwar engagiert gegen die Schablonenhaftigkeit an, steht aber dennoch im Schatten des glänzend aufgelegten Gérard Depardieu („Mammuth"). Der Franzose brilliert vor allem in den berührenden Koni-Tomi-Sequenzen mit Niels Arestrup („Der wilde Schlag meines Herzens") und bringt trotz seines zurückhaltenden Spiels das Kunststück fertig, erst einen alten, kranken Mann zu mimen und schon im nächsten Augenblick wie ein unschuldiger Lausbub aus der Wäsche zu gucken. Nicht von ungefähr entfaltet das Verhältnis zwischen Konrad und Thomas die größte Intensität, weil Elvira und vor allem Philippe klischeebehaftet stagnieren und sich im Gegensatz zu Thomas charakterlich kaum weiterentwickeln.

    Fazit: Bruno Chiche liefert mit „Small World" ein solides Familiendrama ab, das seine stärksten Momente aber ausgerechnet dann hat, wenn sich das Geschehen weniger auf Familie Senn und mehr auf Konrads Schicksal und Erkrankung konzentriert. Fans der „neurologischen Trilogie" werden wohl eine Enttäuschung erleben, dürfen sich aber damit trösten, dass sich kein Geringerer als Oliver Hirschbiegel („Das Experiment", „Der Untergang") bereits der Verfilmung des zweiten Teils angenommen hat: Die Dreharbeiten zu „Die dunkle Seite des Mondes" beginnen im Frühling 2011.

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