Die Musik gilt vielen als die reinste aller Künste. Die Literatur und das Kino bedienen sich meist Geschichten und Figuren, die bildende Kunst sucht sich hingegen Motive, die sie abbildet oder auch verfremdet, an denen sie sich den anderen Künsten vergleichbar abarbeitet. Natürlich kann auch eine Symphonie oder ein Klavierkonzert Wurzeln im Gegenständlichen haben. Trotzdem sind sie weitaus freier. Die Musik braucht den Umweg über Sprache oder Bilder nicht, sie spricht ganz direkt zu den Menschen. Ein Ton wie auch seine Höhe, eine Klangfarbe, eine Harmonie oder auch eine Dissonanz, sie alle beschwören ihre ganz eigenen Emotionen herauf, ohne Umschweife, ohne Erklärungen. Die Musik, das ist also das Unfassbare, das sich beschreiben, aber keinesfalls festhalten lässt – auch nicht im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Eine Aufzeichnung bewahrt eben nur die Töne, aber nicht das, was in und mit ihnen schwingt. Um dieses sich immer wieder Entziehen, dieses auf Ewig ungreifbar Bleiben, kreist auch Lilian Francks und Robert Cibis' so herausfordernde wie berauschende Dokumentation „Pianomania" und kommt dem Wesen der Musik dabei so nah wie nur ganz wenige Texte und Bilder.
Anders als Alfred Brendel und Lang Lang, Julius Drake und Pierre-Laurent Aimand ist Stefan Knüpfer keine Berühmtheit. Ihn, der als Cheftechniker bei der Traditionsfirma Steinways & Sons in Österreich beschäftigt ist und damit über die Konzertflügel der Wiener Konzerthalle wacht, kennen nur Eingeweihte. Doch ohne seine akribische Arbeit, seine Liebe zur Musik, sein perfektes Gehör und seine nahezu untrügliche Intuition würden viele Konzerte und auch einige Aufnahmen dieser Klaviervirtuosen zumindest anders klingen. Ein Jahr lang währten alleine die Vorbereitungen für Aimards Einspielung von Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge". Wieder und wieder hat der Perfektionist Aimard seine Vorstellungen in recht kryptische Worte gefasst, auf die Stefan Knüpfer dann auf seine unnachahmlich gelassene, dabei ungeheuer professionelle Art reagiert hat. Anders als viele Klaviertechniker ist Knüpfer bis heute ein reiner Handwerker geblieben. Auf technische Hilfsmittel verzichtet er gänzlich. Ihm reichen sein Gehör und sein Gefühl.
Nur in einigen wenigen Momenten des Übergangs, die alleine der Musik gewidmet sind und von fast schon abstrakten Bildfolgen begleitet werden, haben sich Lilian Franck und Robert Cibis („Jesus liebt dich") für einen durch und durch irdenen Zugriff entschieden. In langen, eher ruhigen Einstellungen zeigen sie Stefan Knüpfer bei der Arbeit oder im Gespräch mit den Pianisten. Das Monströse der modernen Konzertflügel, ihre enorme Größe, ihr Gewicht, wird dabei immer wieder zu einem visuellen Leitmotiv. So geraten die zahllosen Widersprüche, die Teil der Musik sind, direkt in den Vordergrund. Die Dimensionen des Instruments und die Flüchtigkeit der Töne, die ihm entlockt werden, bilden dabei nur den offensichtlichsten Gegensatz. Ein anderer wäre der zwischen Handwerk und Kunst, also auch der zwischen Knüpfer und den Musikern. Aber jenseits dieser Gegensätze gibt es eine Einheit, in der alles zu einem beinahe schon mythischen Ganzen zusammenkommt.
Das Greifbare und das Ungreifbare üben in „Pianomania" den gleichen Zauber aus. Gerade in den Augenblicken, in denen der geduldige Cheftechniker und der andauernd mürrisch wirkende Pierre-Laurent Aimard gemeinsam daran arbeiten, dass dessen Bach-Aufnahme so perfekt und so einzigartig wie nur möglich wird, erreicht Lilian Francks und Robert Cibis' Dokumentation eine philosophische Dimension. Zum einen gewähren die beiden Filmemacher ihrem Publikum einen unvergesslichen Einblick in die enorme, von unzähligen Kleinigkeiten geprägte Arbeit, die einem Konzert oder eben einer Aufnahme vorausgeht. Zum anderen verweist jede Einstellung des Films auf die Unmöglichkeit das Immaterielle der Musik, das doch so offensichtlich aus dem Materiellen erwächst, wieder in etwas Materielles zu verwandeln. „Pianomania" verändert dabei nicht nur den Blick auf die Kunst des Klavierspielens. Er verändert auf eine sehr grundsätzliche Weise auch die Wahrnehmung von Musik.