Im übertragenen Sinne ist die Reise im Zentrum eines typischen Roadmovies meist die Suche des Protagonisten nach sich selbst. Ausgelöst wird diese Reise bevorzugt durch ein einschneidendes Erlebnis, sei es die anstehende Hochzeit in „Hangover" oder die Rückschau des frischgebackenen Rentners in „About Schmidt". Die Eindrücke, die der Suchende nun sammelt, verdeutlichen ihm die Vergänglichkeit der Dinge und am Ende steht oft die Einsicht, dass das Leben erst durch ständigen Wandel seinen wahren Wert erhält. Der finnische Regisseur Dome Karukoski greift in seinem Roadmovie „Helden des Polarkreises" eben dieses Motiv auf - mit den sonst so gern befeuerten Illusion der großen Freiheit kokettiert er aber nicht. Seine Reisenden kennen keine schillernden Landschaften und keine nordische Variante des amerikanischen Traums, sie bleiben trotz aller Skurrilität am Boden der Tatsachen. Und die sehen im finnischen Norden alles andere als romantisch aus: Karukosi erzählt in seiner Komödie mit viel trockenem Humor von Menschen, die sich ihren Lebenssinn in einer menschenfeindlichen Gegend jeden Tag aufs Neue erkämpfen müssen.
Janne (Jussi Vatanen) ist arbeitslos und lebt untätig in den Tag hinein. Eine Motivation zur Arbeitssuche zeigt der junge Finne längst nicht mehr, auch die einfachsten Aufgaben bleiben unerledigt. Als Janne dann auch noch das Geld seiner Freundin Inari (Pamela Tola) versäuft, anstatt wie versprochen eine Digibox für ungetrübten Fernsehempfang zu kaufen, hat diese die Schnauze voll und stellt ihrem Freund ein Ultimatum: Bis zum nächsten Morgen soll er ihr den Digital-Receiver besorgen, sonst steht die Beziehung vor dem Aus. So macht sich Janne an einem Freitagabend in Begleitung seiner Freunde Kapu (Jasper Pääkkönen) und Räihänen (Timo Lavikainen) auf den Weg ins entfernte Rovaniemi. Derweil nutzt Inaris wohlhabender Ex-Freund Pikku-Mikko (Kari Ketonen) Jannes Abwesenheit, um der schönen Finnin seine Aufwartung zu machen...
In der Eröffnungssequenz spielt Dome Karukoski („The Home of Dark Butterflies") mit der dem Baum zugeschriebenen Lebenssymbolik: Die einzige Sehenswürdigkeit des kleinen Dorfs am Polarkreis ist ein knochiges Baumskelett, an dem sich seit Jahrhunderten die perspektivlosesten der Bewohner aufknüpfen. Die Historie des Landstriches erzählt der Regisseur darüber, welche prominenten Dorfpersönlichkeiten sich hier aus welchem Grund in den Freitod stürzten. Der Suizid ist dabei einerseits etwas Alltägliches in dieser trostlosen Gegend, andererseits ist er ein radikaler Ausbruch aus dem fatalen Zirkel von Arbeitslosigkeit und permanenter Dunkelheit. Am Polarkreis wird es über die Wintermonate nie ganz hell, das Alltagsleben der Bewohner ist dementsprechend trist und durch wiederkehrende Routinen geprägt. Das wenige Geld wird versoffen, das einzige Fenster zur Welt ist das Fernsehen: Nicht selten wirkt Karukoskis Film hier wie ein augenzwinkernder Rückblick in eine längst vergangene Zeit. Die Jagd nach dem Satellitenreceiver wiederum erzählt der Finne im Kern ohne Ironie, denn die Technik verstellt in „Helden des Polarkreises" keineswegs den Blick auf die wahren Qualitäten des Lebens. Das Fernsehen ist keine Kompensation für die Missstände in der Beziehung zwischen Janne und Inari, sondern es ist durchweg positiv besetzt: als Symbol des Wandels und der Zerstreuung in einer Gegend, in der gerade mal die Grundversorgung gewährleistet ist.
Ähnlich wie in amerikanischen Roadmovies prangert auch Karukoski in seinem Film soziale und strukturelle Probleme an, wenn er etwa die Verlagerung von Produktionsstätten nach Brasilien für die desolate wirtschaftliche Lage des Dorfs mitverantwortlich macht. Jannes Nebenbuhler Pikku-Mikko, der sich das Tourismusgeschäft der kompletten Gegend unter den Nagel gerissen und seine luxuriösen vier Wände bezeichnenderweise außerhalb der Dorfgrenzen hochgezogen hat, entspricht dazu dem Bild des eingebildeten Neureichen. Und dann wären da noch die im SUV reisenden Russen, die auf der verschneiten Straße mit einem Rentier kollidieren und anschließend bereit sind, Janne und seinen Mitstreitern jeden Preis zu zahlen, um die „Beute" stilgerecht in der gemieteten Luxusblockhütte verspachteln zu können. Bloße Kapitalismusschelte ist das aber nie: Gerade das Zusammentreffen mit den Russen wird zur Freundschaftsgeste, wenn etwa Kapu mit einem der Reisenden im heißen Pool plantscht, keiner versteht, was der andere sagt, und Karukoski seinen Finnen schließlich schlussfolgern lässt: Wir verstehen uns nicht, aber irgendwie verstehen wir uns doch. Die Erzfeindschaft zwischen den beiden Völkern wird hier als Formalität entlarvt, das unwirtliche Umfeld schweißt die Fremden zusammen.
Es wäre schön gewesen, wenn Karukoski öfter mal das Tempo gedrosselt und den ernsteren Tönen mehr Raum eingeräumt hätte. Im Gedächtnis bleibt eine besonders berührende Szene: Als Janne im nächtlichen Rovaniemi an einer Straßenkreuzung als Fensterputzer Geld verdienen möchte, bleiben die Straßen leer – und naht dann doch einmal ein Auto heran, wird es dank automatischem Ampelsystem schnurstracks durchgeschleust. In dieser Szene bringt Karukosi das Dilemma seiner Hauptfigur konsequent und mit dem nötigen Ernst auf den Punkt. Ansonsten setzt der Regisseur ganz auf anarchischen Humor, dabei trifft er allerdings nicht immer den passenden Tonfall und streckenweise schlagen die Witze ins Infantile um. Das mag zum Teil auch der Synchronisation geschuldet sein, denn die deutschen Dialoge wirken oft enorm holprig. Wer die Chance hat, sollte sich den Film also im Original mit Untertiteln anschauen, zumal das Finnische einen ganz eigenen klangmalerischen Charme besitzt.
Fazit: „Helden des Polarkreises" sollte man nicht ausschließlich als spaßige Komödie im Stile von „Hangover" abtun. Diesem Vergleich hält Dome Karukoskis Film nämlich nicht ganz stand. Darüber hinaus ist dem Finnen aber ein skurriles Porträt der Bewohner einer unwirtlichen Gegend gelungen, die ihr Leben trotz widriger Umstände lieben.